Tod in Innsbruck
Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, bemerkte er selbst, wie falsch sie klangen.
»Liebe, Leidenschaft, dass ich nicht lache. Sie wollten Sex mit einem kleinen Mädchen. Nicht mit einer gleichwertigen Partnerin, sondern mit einer Schülerin, die zu Ihnen aufschaut. Mit Liebe hat das nichts zu tun. Eher mit dem Wunsch, Macht auszuüben.«
Er schwieg. Wie sie ihn ansah mit diesen seltsam grünen Augen, deren Farbe von einem Moment auf den anderen in Eisblau umschlagen konnte.
»Sie haben Isa zerstört. Ihretwegen wollte sie nicht erwachsen werden. Ihretwegen hat sie aufgehört zu essen.«
»Aber ich habe doch alles für sie getan. Ich wollte sie groß herausbringen, ihr den Weg ebnen. Sie hätte eine erfolgreiche Pianistin werden können.«
»Wenn sie Ihre Liebesbezeugungen überlebt hätte.«
Sofronsky fixierte das angebissene Würstchen, da er ihren eisblauen Blick nicht länger ertragen konnte.
»Wie viele Isabels gab es schon in Ihrem Leben? Und wie viele wird es noch geben?«
Wie in einem Film sah er eine Reihe von Gesichtern vor sich, die ineinander verschwammen: Sonja, Angelina, Ricki, Yvonne, Xenia, Isabel, alle jung, alle hübsch.
»Ist Ihnen klar, dass es strafbar ist, was Sie tun? Dass Sie ein Abhängigkeitsverhältnis ausnutzen?«
»Können Sie sich vorstellen, wie es ist, wenn Sie tagein, tagaus mit diesen jungen Geschöpfen konfrontiert sind? Deren Hormone verrücktspielen, die auf der Suche sind? Die genau wissen, dass ihre Brustwarzen sich unter den transparenten Stoffen abzeichnen und dass ihre winzigen Slips unter den wippenden Miniröcken zu sehen sind? Sofern sie überhaupt Slips tragen. Wissen Sie, wie das ist, wenn man eine Stunde lang auf einen bloßen Hintern starren muss, der am Klavierstuhl auf und ab wetzt, von nichts verdeckt als dem String eines Tangas?« Er trank einen Schluck Bier. »Und die Mädchen kichern in sich hinein und freuen sich über den Schweiß, den sie zum Fließen bringen.«
»Wollen Sie, dass Ihre Schülerinnen in Kopftuch und bodenlangen Gewändern herumlaufen? Weil Sie Ihre Geilheit nicht beherrschen können?«
Sofronsky hob die Hände und ließ sie wieder fallen. Sie hatte recht. Er war ein alter Bock, der seine Begierde nicht im Griff hatte.
Nach langem Schweigen sah er sie an. »Und jetzt?«
»Sie wollten die Polizei verständigen«, sagte sie. »Oder soll ich es tun?«
Er fixierte die feinen Sommersprossen auf ihrer Nase. »Wenn Sie mich anzeigen, ruinieren Sie mich. Ich werde meinen Job verlieren und keinen neuen finden. Sonja wird mich rauswerfen. Aber das freut Sie vermutlich. Sie wollen Rache.«
Vera fuhr sich durchs Haar und zerzauste es dabei nur noch mehr. »Falsch. Mir geht es um Gerechtigkeit. Und ich will, dass es sofort aufhört. Sie haben schon genug Schaden angerichtet.«
»Dann zeigen Sie mich an! Worauf warten Sie noch?«
»Es gibt auch eine andere Möglichkeit. Erstatten Sie Selbstanzeige, und Sie kommen weit glimpflicher davon. Und machen Sie eine Therapie.«
An eine Therapie hatte er selbst schon gedacht. Vielleicht sollte er wirklich professionelle Hilfe annehmen. »Einverstanden. Morgen gehe ich zur Polizei.«
»Eine kluge Entscheidung.«
Er sah auf die Uhr. »Oh, ich muss mich beeilen. Sonst komme ich zu spät zum Unterricht …« Auf seinen Wink erschien die Kellnerin mit der Rechnung. Vera ließ sich nicht einladen. Sie bezahlte ihren Espresso selbst und stand auf.
»Auf Wiedersehen«, sagte er.
»Vergessen Sie Ihr Versprechen nicht.«
»Seien Sie unbesorgt.« Er wartete, bis sie weg war, schlang den Rest seines kalten Würstchens hinunter und brach auf.
Im Nachdenken strich er sich über den Bart. Eine Therapie wäre eine Chance. Er musste sein Leben ändern.
An eine Selbstanzeige dachte er nicht eine Sekunde lang. Natürlich nicht. Genauso gut hätte er sich eine Kugel in den Kopf schießen können. Dieses Biest sollte nur versuchen, ihn anzuzeigen. Sie hatte keinen Beweis. Isabels Tagebuch war vor Gericht nichts wert. Von seinen früheren Schülerinnen würde keine gegen ihn aussagen, sonst hätten sie es längst getan. Schon gar nicht Xenia, die immer viel Spaß daran gehabt hatte.
Er lächelte.
In ein paar Wochen würde Gras über die Sache gewachsen sein. Gras wuchs ja immer über alles.
VIERZEHN
Veras Mundwinkel schmerzten von dem Drang, sich in Richtung Ohrläppchen zu bewegen. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie zuletzt so unverschämt guter Laune gewesen war. Zu Hause angekommen, tanzte sie
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