Tod in Innsbruck
unsere Kräfte darauf konzentrieren, ihr ein Geständnis abzuringen. Oder Beweise zu finden.« Er räusperte sich. »Machen S’ Feierabend, Wurz. Morgen ist auch noch ein Tag.« Dann hob er die Hand zum Gruß und machte sich auf den Weg nach Hause.
Endlich. Was Thea wohl gekocht hatte? Hoffentlich eine Mehlspeis. Am liebsten einen Kaiserschmarrn.
SIEBZEHN
Vera starrte auf das Loch in ihrer Decke und bohrte ihren Finger hinein. Sie hatte das Gefühl, schon seit Jahren in dieser Zelle eingesperrt zu sein, dabei waren es erst acht Stunden. Ihr Rücken schmerzte. Zum wer weiß wievielten Mal wechselte sie die Position. Die Pritsche quietschte zum Steinerweichen.
»Hör mit dem Krach auf!«, keifte ihre Mitinsassin vom oberen Bett herunter. Margit, genannt Pretty-Gitti, hatte vor Kurzem einige bunte Pillen eingeworfen. Seither suchte sie Streit.
»Halt’s Maul, wenn du überleben willst«, hatte sie zur Begrüßung verkündet.
Vera starrte die nackte Wand an und musste ausgerechnet an ihre Mutter denken.
Siehst du? Das hast du nun davon, würde sie sagen. Zum Glück wussten Veras Eltern nichts von der Verhaftung. Noch nicht.
Trotzdem bereute Vera nicht, nach Innsbruck gekommen zu sein. Kein bisschen. Immerhin wusste sie jetzt, was Isa zugestoßen war. Wenigstens das hatte sie erreicht.
Sofronsky vor Gericht zu bringen wäre ihr auch noch gelungen, dachte sie trotzig.
Sie sprang auf und wanderte in der winzigen Zelle auf und ab. In welchen Wahnsinn war sie da hineingeraten? Zwei Menschen waren tot, bestialisch ermordet. Beide hatte sie gekannt. Und der Täter? Vielleicht kannte sie den auch?
Ihr schwindelte. Sie hielt die Stirn an die kühle Mauer. Doch das Gedankenkarussell in ihrem Kopf drehte sich weiter.
Wie komme ich hier raus? Wer ist der Mörder? Wie komme ich hier raus? Wer ist der Mörder? Wie komme ich …
Sie drosch mit den Fäusten gegen die Wand.
»Hör auf!«, brüllte Gitti. »Oder ich mach dich alle!«
»Denk nicht mal dran.« Vera setzte sich wieder auf ihre Pritsche. Sie zog das Buch unter dem Kopfkissen hervor, das Anna ihr neben Zahnbürste, Duschgel und Wäsche mitgebracht hatte. »Tosende Stille«, eine Biographie von John Cage, die Vera schon seit einigen Monaten besaß, aber noch nie gelesen hatte. Jetzt würde sie Zeit genug dafür haben. Zuerst war das Buch konfisziert worden, weil Bücher angeblich eine Gefahr darstellten. Vera erkannte, dass U-Häftlingen weit weniger Rechte zugestanden wurden als verurteilten Kriminellen. Und die wenigen Rechte, die sie hatten, wie das Recht auf eine Einzelzelle, konnten aus organisatorischen Gründen nicht gewährt werden. Der Ziegelstadel, wie dieses Gefängnis im Volksmund hieß, war nämlich überfüllt. Immerhin war es ihr dann doch noch gelungen, eine Sonderbewilligung von der Anstaltsleitung zu erwirken und das Buch zu behalten.
Die Bettfedern sangen ihr schräges Lied, als Vera sich auf den Rücken legte und zu lesen begann.
Plötzlich bebte die Erde.
Gitti hatte ihre geschätzten hundert Kilo mit einem Satz auf den Boden gewuchtet. Jetzt pflanzte sie sich vor Vera auf und riss ihr das Buch aus der Hand.
»Was iss’n das?«
»Nichts für Analphabeten. Gib es her!«
»Schöner Umschlag! Das behalt ich.« Gitti steckte die Beute in ihren Hosenbund.
Wie eine Furie sprang Vera auf.
Darauf hatte Gitti nur gewartet. Sie verzog ihre gepiercten Lippen zu einem Grinsen. »Hol’s dir doch, Bohnenstange!«
Sie holte mit der Rechten aus.
Behände sprang Vera zur Seite.
Der Vorwärtsdrall ihrer schwergewichtigen Gegnerin ging ins Leere. Gitti verlor das Gleichgewicht. Vera, die sich mit einem Mal in ihrem Rücken befand, musste nur noch den Arm durchstrecken und ihr mit der flachen Hand kräftig in die Nierengegend schlagen, um sie zu Fall zu bringen.
Gitti landete unsanft auf dem Bauch und keuchte.
Vera riss das Buch aus ihrem Bund. »Hab’s mir geholt, Pudding. Kannst aufhören, den Boden zu küssen.«
Sie legte sich wieder auf ihre Pritsche, als wäre nichts gewesen.
Schnaubend stand Pretty-Gitti auf. »Für diesmal hast du gewonnen«, zischte sie. »Aber morgen besorg ich mir ein Messer. Dann schneid ich dein Buch in Streifen und deine Fresse dazu.«
Vera kümmerte sich nicht um die Drohung. Sie schlug das Buch auf. »Tosende Stille«. Sie hatte es nicht nur wegen Jochens Schwärmerei für den Komponisten John Cage gekauft, sondern auch, weil ihr der absurde Titel ins Auge gesprungen war.
Zuerst sah sie sich die Bilder
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