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Tod in Marseille

Tod in Marseille

Titel: Tod in Marseille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Gercke
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hinter der Bar, als er ihr das Glas reichte.
    Sie hatte den dritten Gin bestellt, als sie das Mädchen die Promenade entlangkommen und den Weg zum Fahrkartenschalter einschlagen sah. Die kleine Herera trug einen orangefarbenen Rucksack und ein schwarzes Kleid, billig und unmodern. Über die linke Schulter hatte sie sich ein Stück Stoff gehängt, das sich vermutlich als Jacke entpuppen würde.
    Was für ein Aufzug, sagte Nini laut. Kannst du mal auf meine Tasche aufpassen?
    Ohne die Antwort des Jungen abzuwarten, ging sie sehr gerade die Treppe hinunter, blieb auf der untersten Stufe stehen und beobachtete Maria-Carmen. Die kaufte eine Fahrkarte für die Olsen-Fähre. Nini holte ihre Tasche von oben und ging hinunter in die Schalterhalle. Sie war nicht ganz sicher auf den Beinen und hielt sich am Geländer fest. Unten saß das Mädchen allein auf einer Bank und sah vor sich auf den Boden.
    Sie glaubt, wenn sie nicht aufsieht, bemerkt sie keiner, dachte Nini und ging direkt auf das Mädchen zu. Ihre Schritte waren so fest, als wollte sie sich beweisen, dass sie nüchtern war, und ihre Tasche stellte sie mit einem kräftigen Plopp direkt vor den Füßen der Kleinen ab.
    Ich bin gleich wieder da, sagte sie und ging hinüber zum Fahrkartenschalter. Nach einer Weile kam sie zurück und setzte sich neben das Mädchen.
    Ich hab vergessen, wie du heißt, sagte sie.
    Maria-Carmen Herera.
    Die Stimme klang trotzig, so als fühlte sie sich entdeckt, wäre aber nicht bereit, nachzugeben.
    Maria-Carmen – dein Name ist unmöglich, dein Kleid ist unmöglich, und du bist unmöglich. Hast du wirklich geglaubt, du schaffst das allein?
    Und warum nicht?
    Um die Kaimauer bog die letzte Fähre und manövrierte sich rückwärts in den Hafen. Sie legte an, und Passagiere und Autos drängten sich an der Reling und im Frachtraum, beobachtet von der alten Frau und dem Mädchen, so aufmerksam beobachtet, als hätten sie die Ankunft einer Fähre noch nie gesehen.  
    Ich kann mich ja täuschen, sagte Nini irgendwann. Aber ich vermute, dass du noch nie von dieser verdammten Insel runtergekommen bist. Ich vermute, du weißt nicht mal, was du machen sollst, wenn du da drüben auf Teneriffa ankommst. Weg, weg, weg, das ist alles, was du willst. Da drüben ist doch alles genauso wie hier, bloß ein bisschen größer. Das kannst du mir glauben. Aber du willst gar nicht nach Teneriffa, stimmt’s?
    Statt einer Antwort stand das Mädchen auf, nahm den Rucksack über die Schulter und ging. Nini nahm ihre Tasche und folgte ihr.
    Die Fähre hatte inzwischen festgemacht. Die ersten Lkw rollten auf den Kai. Noch war es Fußgängern nicht erlaubt, dem Schiff zu nahe zu kommen. Maria-Carmen blieb dicht vor der Absperrung stehen, den Rucksack über der Schulter. Nini stellte sich neben sie und beobachtete sie von der Seite.
    Kommst dir mutig vor, was?
    Keine Antwort. Maria-Carmen tat so, als wäre die Frau neben ihr Luft. Nini fiel ein, dass sie einer Nachbarin Bescheid sagen müsste, die sich um den Vogel kümmern sollte, solange sie unterwegs wäre.
    Oh, ich muss noch mal weg. Hier, nimm meine Tasche. Pass auf sie auf, bis ich wieder da bin. Es dauert nicht lange.
    Das Mädchen wandte nicht einmal den Kopf, als Nini in der Menge der Wartenden verschwand. Auch die Tasche beachtete es nicht.
    Nini stand beinahe eine Viertelstunde an der Telefonbox, bevor sie frei war. Erst dann fiel ihr ein, dass sie die Zeit hätte nutzen können, um nach der Nummer zu suchen, die sie anrufen wollte.
    Der verdammte Schnaps, murmelte sie, während sie mit fahrigen Fingern blätterte, die Spalten entlangfuhr, endlich die richtige Nummer fand. Ihr Telefongespräch war nur kurz, aber alles in allem hatte sie mehr als zwanzig Minuten gebraucht. Als sie die Telefonzelle verließ, war der Kai menschenleer. Eine einsame braune Ledertasche stand auf dem Beton. Der letzte Lkw, ein gelber Kühlwagen, der einen Schwall von Abgasen in die Luft verteilte, wartete darauf, auf die Fähre gewunken zu werden. Die Brücke für die Passagiere würde gleich eingezogen werden. An den Pollern hatten sich die Festmacher aufgestellt, um die Seile loszubinden. Nini rannte auf die junge Frau zu, die die Tickets der Passagiere kontrolliert hatte und nun allein am Kai stand.
    Ich muss mit, bitte, hier, meine Karte, meine Tasche, ich muss unbedingt mit. Bitte.
    Die junge Frau, rund und rosig und stolz auf ihre Uniform, ließ sich erweichen.
    Dann aber schnell, Beeilung, die legen gleich ab.
    Die

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