Tod in Marseille
hinunter, bevor sie einstieg. Es war klar, dass Nini ihr nicht nützlich sein würde bei dem, was sie vorhatte. Sie müsste die alte Frau irgendwie loswerden.
Der Taxifahrer brachte sie ins Sofitel, das oberhalb des Alten Hafens lag. Das Auto kam nur sehr langsam voran. Sie hatten genug Zeit, die Luxusjachten im Hafen zu bestaunen. Auch in den Hafen von San Sebastián de la Gomera waren hin und wieder Segler eingelaufen, die ihnen gewaltig vorgekommen waren. Manchmal blieben die Schiffe zwei oder drei Tage. Manchmal fielen die Eigner und ihre Gäste sogar in die Stadt ein, während die Mannschaft damit beschäftigt war, das Schiff zu überholen.
Ja, dachte Nini, »einfallen«, das ist das richtige Wort dafür. Eingefallen sind sie, haben gesoffen und Lärm gemacht, und die Männer haben jedes junge Mädchen belästigt, das ihnen begegnet ist. Die Frauen, dürre Weiber mit ausgeblichenen Haaren, runzliger brauner Haut und riesigen Sonnenbrillen, haben verächtlich in die Auslagen der Geschäfte gesehen, und nur wenn sie, eher zufällig, die Hauptstraße verließen und in die Gasse einbogen, in der ich lange Jahre meinen Laden gehabt habe, sind sie mit Gekreisch und mit bewundernden Blicken auf die ausgestellten Kleider stehen geblieben. Es gab keine, die nicht von den bunten Fetzen kaufte, die unter meinen Händen entstanden waren. Ich konnte diese Weiber nie ausstehen. Manche unterhielten sich laut in französischer Sprache und hatten keine Ahnung, dass ich sie verstand.
Ganz nett. Erstaunlich. Und das hier erst. Ein, zwei Mal kann man es anziehen. Da hab ich was für die Putzfrau zum Mitbringen.
Viele der Schiffe, an denen sie vorüberfuhren, waren größer als die größten, die je auf Gomera gelandet sind. Menschen waren darauf nicht zu entdecken. Einige sahen so aus, als dümpelten sie schon viele Jahre vor sich hin; als käme nur hin und wieder jemand vorbei, der sie sauber hielt, um sie dann wieder sich selbst zu überlassen.
Was hast du dem Mann gesagt?, unterbrach Maria-Carmen ihre Gedanken. Wieso fährt der mit uns in diese verstopfte Straße?
Wir sind gleich da, antwortete Nini. Sie versuchte, ihr durch die Panne mit dem Hotel in der Rue du Relais ramponiertes Ansehen als Marseille-Kennerin zurückzugewinnen. Maria-Carmen, die ihre Vorliebe für schöne Hotels schon auf Teneriffa im Gran Hotel entdeckt hatte, war zufrieden, als der Fahrer vor dem Sofitel hielt.
Schade, dachte, sie. Hier würde ich gern länger bleiben.
Unterwegs im Auto, während sie kaum vorwärtskamen, war ihr klargeworden, was sie zu tun hatte. Sie würde so bald wie möglich aus dem Hotel verschwinden. Sie hatte das Foto der Frau, die in einem der Zeitungsartikel erwähnt war. Auch der Stadtteil, in dem die Schießerei stattgefunden hatte, war erwähnt. Und die Adresse. Schließlich gab es Stadtpläne. Sie würde auch das Bistro finden, von dem in dem Bericht die Rede gewesen war. Sie würde sich dort in der Nähe einmieten und herausfinden, ob es im Bistro Arbeit für sie gäbe. Schließlich hatte sie Informationen. Sie hatte den Blonden gesehen, bevor er in der Calle del Medio erschossen worden war. Vielleicht gab es jemanden, der Interesse an solchen Informationen hatte. Sie hatte seinen Namen vergessen, aber sie würde ihn herausfinden. Sie müsste nur den Text aufmerksam lesen. Ein Name fiele auf. Die Frau auf dem Foto – sie würde sie finden. Weshalb sollte der Mann ihr Foto bei sich gehabt haben, wenn die beiden nicht eine besondere Beziehung gehabt hätten? Vielleicht wusste die Frau inzwischen, dass er tot war. Aber was er in seinen letzten Stunden getan hatte, das konnte sie nicht wissen. Sie, Maria-Carmen, konnte der Frau davon erzählen. Wäre doch möglich, dass man ihr dankbar war.
Sag, dass wir zwei Zimmer wollen, flüsterte sie Nini zu, während sie neben ihr an der Rezeption stand.
Sie haben eine Suite mit zwei Schlafzimmern.
Kann man die Tür zwischen den Schlafzimmern zumachen? Weil du schnarchst, setzte sie hinzu, als Nini sie verwundert ansah.
Als sie nach einer Kreditkarte gefragt wurde, nur zur Sicherheit, die Rechnung könnten die Damen begleichen, wenn sie das Hotel verließen, schob Nini ihre Karte über den Tisch.
Ich nehme an, du hast keine Karte, und mit den Geldscheinen herumzuwedeln schien mir nicht besonders klug, sagte sie, als sie im Zimmer angekommen waren.
Maria-Carmen dachte an die Kreditkarten, die dem Blonden gehört hatten und die sie in ihrem Rucksack verwahrte. Sie wusste nicht,
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