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Tod in Marseille

Tod in Marseille

Titel: Tod in Marseille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Gercke
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angeschafft, die die Arbeiterinnen überflüssig gemacht haben. Ihr fiel ein, dass die Frauen, die neben ihr am Band gestanden und Zigaretten sortiert hatten, damals meist älter gewesen waren als sie selbst. Alle tot, dachte sie und gleichzeitig: Ich werde schon noch eine von denen finden. Sie haben alle in der Nähe der Fabrik gewohnt. Die Gegend kenn ich doch. Die werden sich wundern, wenn ich plötzlich vor ihnen stehe.
    Dass du zurückgekommen bist! Und wie gut du aussiehst mit diesem schwarzen Schal!
    Und Suzette, die schon damals auf ihre Erfolge bei Männern eifersüchtig gewesen war und ihr Roberto nicht gegönnt hatte, wird spitze Bemerkungen machen über Frauen, die so aussehen, als tränken sie mehr Gin, als sie vertragen können. Gin hatte sie damals schon gemocht. Mit Gin hatte sie ja auch der Schlingel Roberto bezirzt, obwohl, wenn sie ehrlich war, dann musste sie zugeben, dass sie damals auch ohne Gin mit Roberto gegangen wäre. Er war so ein schöner Mann und Suzette wäre beinahe geplatzt …
    Nini, das Hotel!
    Sie standen neben dem Taxi, Maria-Carmen hatte ihre Tasche auf den Vordersitz geworfen und sah sie auffordernd an.
    Cours Belsunce, sagte Nini, das Hotel liegt in der Straße, die vom Cours Belsunce abgeht. Rue du Relais, glaube ich.
    Weshalb auch nicht, sagte der Taxifahrer. Na klar, wieso auch nicht.
    Auf der Fahrt vom Flughafen in die Stadt blieben die beiden Frauen stumm. Einmal, da hatten sie sich schon der Stadt genähert und konnten die Hafenanlagen sehen, seufzte Nini tief.
    Was ist das?, fragte Maria-Carmen einen Augenblick später.
    Sie zeigte auf einen turmähnlichen Hochhausbau, ein riesiges Gebäude, das die Hafenlandschaft beherrschte.
    Ich weiß nicht, sagte Nini.
    Die Damen sind wohl nicht von hier, fragte der Taxifahrer und sah auffordernd in den Rückspiegel. Niemand antwortete ihm.
    Na klar, antwortete er sich selbst. Die würde man doch kennen: Schnapsdrossel und Bergfink. Keine Frage, die würde man kennen. Und das Hotel erst: das würde man auch kennen. Aber nur zu. Sie haben es so gewollt.
    Er blieb still, und auch die Frauen sagten nichts, bis das Auto an der Place Jules Guesde vorüberfuhr.
    Da, sagte Maria-Carmen, sieh doch.
    Rechts und links der Straße, auf dem Platz in der Mitte und in den Seitengassen lagen Waren auf dem Boden, Waren aller Art, bewacht von Afrikanerinnen in bunten und von Afrikanern in weißen Gewändern, von heruntergekommenen, übriggebliebenen Menschen, angeschwemmt aus aller Herren afrikanischer Länder.
    Die sind wohl arm, sagte Nini.
    In ihrer Stimme war ein Staunen, das echt war. Sie kam gar nicht auf die Idee, dass die Afrikaner, die sie da auf der Straße sah, Überlebende sein könnten; Überlebende der Boote, die auch auf Gomera hin und wieder angelandet waren. Sie hatte Französisch gesprochen, deshalb verstand Maria-Carmen sie nicht, aber der Taxifahrer hatte sie sehr wohl verstanden.
    Ah, auch noch vom Mond, die Dame, sagte er.
    Kurze Zeit später hielt er auf dem Cours Belsunce, stieg aus und stellte die Taschen auf die Straße. Das war’s, murmelte er.
    Ich hab ihn nicht verstanden, sagte Maria-Carmen, aber besonders freundlich war er nicht. Schade. Er hätte für heute Schluss machen können.
    Es sind nur ein paar Schritte, ich erinnere mich genau, nur ein paar Schritte, sagte Nini.
    Ihre Stimme klang unsicher, und sie sah suchend an den Häuserwänden entlang. Sie war in Marseille nur ein einziges Mal in einem Hotel gewesen, in der Nacht, bevor sie mit Roberto auf sein Schiff gegangen war. Sie hatte sich wunderbar gefühlt damals, und gemessen an ihrem winzigen Zimmer in Belle de Mai war ihr das Hotelzimmer großartig vorgekommen. Nun, während sie die enge Rue du Relais entlangging, die Hauswände absuchte, feststellen musste, dass einige Haustüren schon seit Jahren nicht mehr geöffnet worden waren – Müll lag auf densteinernen Treppenstufen, in einer Nische hatte sich ein ausgemergelter alter Mann sein Schlafzimmer eingerichtet –, nun dämmerte ihr langsam, dass das Hotel vielleicht nicht so großartig gewesen war, wie sie es in Erinnerung gehabt hatte. Sie blieb stehen und wandte sich um. Sie waren beinahe am Ende der Gasse. Vorn, dort, wo sie eingebogen waren, sah man einen Ausschnitt des Cours Belsunce: viele Menschen, ein buntes Durcheinander, Alte, Junge, Kinder, Straßenbahnen, die in beide Richtungen fuhren; in der Rue du Relais dagegen war es still und dunkel. Nini versuchte, nicht zu zeigen, wie sehr sie das

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