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Tod in Marseille

Tod in Marseille

Titel: Tod in Marseille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Gercke
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Kleidungs- oder Einrichtungsfragen, ist nicht angelernt, sondern das Ergebnis von Erziehung durch Beispiel. Das hat ein so ungebrochenes Selbstbewusstsein zur Folge, dass sich die Angehörigen dieser Schicht überall bewegen können, ohne besonders aufzufallen. In Eckkneipen trifft man sie trotzdem selten, und wenn, dann handelt es sich um Einzelgänger, die von ihren Familien und deren Freunden hinter vorgehaltener Hand als schwarze Schafe bezeichnet werden. Manchmal spielen Drogen oder Alkohol bei denen eine verhängnisvolle Rolle, manchmal auch Liebe, meistens bei Frauen.
    Noch einen Wodka?
    Die Frau hinter dem Tresen rief zu Bella herüber und riss sie aus ihren Phantasien. Sie war gerade damit beschäftigt gewesen, darüber nachzudenken, aus welcher Schicht die Menschen ihr am besten gefielen. Die Frau aus dem Eingangstor zur Hölle war es jedenfalls nicht. Musste man sich um das Kind kümmern? Die Behörden informieren? Kinder wuchsen unter den unmöglichsten Bedingungen auf. Hatte das Balg hinter dem Rücken der Mutter nicht gegrinst? Sie nahm sich trotzdem vor, am Wochenanfang dem zuständigen Jugendamt Bescheid zu geben.
    Nein, rief sie zurück und stand auf, ich zahle.
    Auf dem Weg nach Hause fiel ihr dann ein, dass sie am nächsten Tag eine Ausstellungseröffnung besuchen wollte. Und die Kunst? Wo kommt die eigentlich vor in deinem Schichtenmodell? Und solche Menschen wie deine Mutter Olga und ihre Genossen?
    Entweder du denkst gründlicher, Bella, oder du schiebst dein Schichtenmodell dahin, wo es hingehört: in die Abteilung private Spielereien, nur nützlich für eine sehr grobe Rasterfahndung; mit der du, glücklicherweise, nichts mehr zu tun hast.
    Die Ausstellung sollte um 12 Uhr eröffnet werden. Als Bella ein paar Minuten früher die Galerie betrat, waren einige Kunstliebhaber und viele Weintrinker bereits versammelt. Der Galerist Pieter, ein Mensch mit einer Vorliebe für gegenständliche Malerei, begrüßte seine Gäste in einem schwarzen Anzug. Der Anzug hätte auch sein Konfirmationsanzug gewesen sein können. Er passte gut zu dem bleichen Gesicht und dem verzweifelten Gesichtsausdruck, den der Mann zur Schau trug und den er sich für seine Ausstellungseröffnungen ausgedacht hatte. Kunsthandel war ein schwieriges Geschäft. Junge Künstler zu fördern kam einem Harakiri gleich. Wer von den Eingeladenen nicht am Eröffnungstag kaufte, und das waren die allermeisten, würde sich an seinem Untergang beteiligen. Man konnte sich nur noch überlegen, ob man wirklich daran beteiligt sein wollte. Eine provokante Strategie, die aber seltsamerweise oft Erfolg hatte. An normalen Tagen war der Galerist ein freundlicher, etwas schüchterner Mensch, der Unmengen von Weißwein vertrug, ohne betrunken zu werden, und bemerkenswert gut Klavier spielte. Bella hatte ihn an so einem normalen Tag kennengelernt und mochte seine nüchterne und trotzdem hochachtungsvolle Art, über Bilder und Maler zu sprechen. Jetzt kam er auf sie zu.
    Mein Lichtblick, sagte er und verzog dabei so schmerzlich das Gesicht, dass Bella lachen musste.
    Lach nicht, sagte er. Nissen hat sich angesagt. Wenn er nichts kauft, bin ich ruiniert.
    Du Armer, sagte Bella, wer ist Nissen?
    Ist das dein Ernst? Du weißt nicht, wer Gerd-Omme Nissen ist? Liest du keine Zeitung?
    Der?, sagte Bella.
    Aber Pieter hatte sich schon abgewandt und ging einem Mann entgegen, der in Begleitung von zwei Herren, die jünger waren als er, aber offensichtlich seiner Gesellschaftsschicht angehörten, die Galerie betreten hatte.
    Mein Schichtenmodell ist ausbaufähig, dachte Bella nach einem Blick auf die Männer. Ich sollte die Klamotten berücksichtigen, die getragen werden.
    Sie wandte sich den Bildern zu, merkwürdig kleinformatige Exemplare, die in Gruppen von zehn oder zwanzig Teilen zusammengehängt waren. Ein einziges, sehr großes Bild, das den Innenraum eines Schiffes darstellte, hing an der Wand ihr gegenüber. Der Galerist und Nissen, dem seine Begleiter folgten, ohne sich nach rechts oder links umzusehen, steuerten auf das große Bild zu. Belustigt sah Bella, dass ihr Freund in der Lage war, sein Gesicht noch um mehrere Nuancen zu verfinstern. Nissen starrte das Bild an, trat ein paar Schritte zurück, starrte aus der Entfernung, trat wieder vor und starrte aus der Nähe. Bella starrte Nissen an und überlegte, was sie über ihn wusste: Gerd-Omme Nissen, enger Freund des Bürgermeisters, erfolgreicher Reeder in der dritten Generation, Nutznießer der

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