Tod in Marseille
sagen haben, interessiert mich nicht, sagt er. Die sollen malen, nicht reden. Entweder sprechen ihre Bilder, oder sie sollen den Beruf wechseln. Den meisten Künstlern ist diese Haltung angenehm. Sie haben sowieso keine Lust, ihre Sachen zu interpretieren. Aber es gibt auch einige, die ihn geradezu hassen. Ich glaube, ich geh trotzdem mal zu dem Glückspilz da drüben und sag ihm, dass sein großes Bild verkauft ist. Willst du den Maler kennenlernen?
Ich geh nach Hause, antwortete Bella. Hol mich ab, wenn du zu dem Wunderknaben fährst. Ich bin gespannt auf seinen Wodka.
Dass Gerd-Omme Nissen auf diesen Tag und auf sein kleines Fest mehr als ein Jahr hingearbeitet hatte und dass dabei der Kauf des Bildes nur eine sehr geringe Rolle spielte, konnte sie nicht wissen.
Nissen hatte sich von seinen Begleitern verabschiedet und war noch einmal in sein Büro gegangen. Das lag nur wenige hundert Meter von der Galerie entfernt in einem alten Kontorhaus in der Innenstadt. Ihm gehörte die oberste Etage des Hauses, die so groß war, dass neben den Büroräumen noch eine Junggesellenwohnung Platz hatte. Nissen hielt sich nur selten in der Wohnung auf. Manchmal brachte er dort Geschäftsfreunde unter. Die Wohnung wurde von einer Putzfrau in Ordnung gehalten, die nur für diese Arbeit eingestellt worden war.
Als der Lift in der letzten Etage ankam, sah Nissen, dass die Tür zur Wohnung offen stand. Es war Sonntag. Er hatte zur Zeit keine Gäste. Als er sich der Tür näherte, hörte er Stimmen. Jemand sang und lachte dann. Ein Lächeln glitt über sein Gesicht. Er schob die Tür ganz auf und blieb im Türrahmen stehen. Die beiden schwarzen Frauen hielten erschrocken inne.
Tanzen könnt ihr, wenn ihr fertig seid, sagte Nissen.
Seine Stimme klang ruhig und beherrscht. Die beiden Frauen verschwanden und kamen gleich darauf zurück, nun mit Staubsauger und Schrubber ausgerüstet. Nissen wandte sich ab und ging hinüber in sein Büro.
Der Blick auf seinen Schreibtisch erinnerte ihn sofort an den Anruf von heute Morgen. Der Anruf war aus Aix-en-Provence gekommen. Der Mann am Telefon hatte ihm mitgeteilt, das Wetter dort unten sei seit zwei Stunden hervorragend.
Wann wird es umschlagen?, hatte er gefragt. Und der Mann hatte geantwortet: In fünf Tagen. Sie hatten beide gleichzeitig aufgelegt.
Er setzte sich an seinen Schreibtisch und sah auf die gegenüberliegende Wand. Dort standen, sorgfältig von Glasglocken geschützt, die Modelle seiner Schiffsflotte. Auch die Mariella stand dort, nicht mehr ganz jung, aber sehr solide. Ein schönes Schiff, das er vor Jahren gekauft und das ihm bisher eine Menge Geld eingebracht hatte: Frachteinnahmen und Steuervorteile. Nun, am Ende ihres Lebens, würde sie ihn mit einem Schlag aus der finanziellen Klemme befreien, in der er sich befand. Und zwar endgültig und für immer. Brave Mariella.
Um siebzehn Uhr ließ Nissen sich von seinem Fahrer abholen und nach Klein Flottbek bringen. Es war nicht das Haus seiner Eltern, in dem er lebte. Seine Eltern, alt und von einer Pflegerin versorgt, wohnten noch in dem Haus, in dem er aufgewachsen war. Aber etwas Ähnliches in ähnlicher Lage hatte es schon sein müssen. Der Zufall war ihm behilflich gewesen. Freunde seiner Eltern, die er schon seit seiner Kindheit kannte, waren zu ihrem Sohn nach Costa Rica gezogen. Er hatte Haus und Grundstück günstig erwerben können.
Wir freuen uns, wenn unser Haus in die richtigen Hände kommt. Auf das Geld kommt es doch nicht an.
Die Summe, auf die es nicht angekommen war, hatte 3,8 Millionen betragen und war ein wenig mitverantwortlich dafür, dass es um Nissens Finanzen zurzeit nicht so gut bestellt war. Allerdings nur ein wenig. Der Hauptgrund für seine finanzielle Schräglage hatte ganz einfach mit der Wirtschaftskrise zu tun, die über ihn und andere Reeder ziemlich unverhofft hereingebrochen war. Was nützten die schönsten Steuervorteile, wenn es keine Ladung mehr gab. Der Containerverkehr im Hafen war zusammengebrochen, und es war nicht abzusehen, wann er wieder in Gang kommen würde. Nissen, der seit Jahren auf das Geschäft mit China gesetzt und sehr gut dabei verdient hatte, war besonders betroffen. Diese Waren ließen sich immer weniger absetzen. Die Leute hatten einfach kein Geld, und es war völlig unklar, ob sie jemals wieder ausreichend Geld haben würden. Das heißt, unklar waren eigentlich nur die öffentlichen Reden der Politiker, die – keine leichte Aufgabe – Wege finden mussten, um
Weitere Kostenlose Bücher