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Tod in Marseille

Tod in Marseille

Titel: Tod in Marseille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Gercke
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gelegenen Kongresszentrum, und in diesem Palais de Pharo hatte die Hamburger Delegation auch das erste Gespräch mit der Polizeitruppe, die von den Gastgebern für die Sicherheit der Veranstaltung und insbesondere der hochrangigen Gäste vorgesehen war. Man traf sich in einem Saal im Untergeschoss, diskutierte die von den Marseillern vorgeschlagenen Maßnahmen und folgte anschließend den Polizeibeamten zu einem Rundgang durch das Gebäude.
    Was den Inhalt der Gespräche anging, so war Nissen während dieses Treffens nicht wirklich bei der Sache. Schon am Beginn, als man ihnen die Polizisten vorstellte, war sein Blick an einem Mann hängengeblieben, der ihm besonders interessant zu sein schien. Soweit er verstanden hatte, gehörte er der Kriminalpolizei an und nahm dort eine leitende Stellung ein. Der Mann trug, im Gegensatz zu den übrigen Männern der Gruppe, keine Uniform. Nissen, der sich auf die Qualität von Kleidung verstand, sah sofort, dass der Mann sehr viel Geld für die Sachen ausgegeben hatte, die er trug. Was mochte so jemand verdienen? Er begann, den Polizisten zu beobachten. Es war deutlich, dass seine Kollegen ihn respektierten, auch einen gewissen Abstand zu ihm hielten. Sie vermieden kumpelhafte Gesten. Dabei war er durchaus nicht unfreundlich.
    Es gibt solche Menschen, dachte Nissen, und womöglich gehöre ich sogar selbst dazu. Niemals die anderen zu dicht an sich herankommen lassen, aber immer freundlich und mit einem offenen Ohr für ihre Belange.
    Der Mann war ihm sympathisch. Als man sich schließlich erhob, um den Rundgang durch das Gebäude zu machen, richtete Nissen es so ein, dass er neben ihm ging. Am Ende des Rundgangs, der bewiesen hatte, dass das Sicherheitskonzept der Marseiller lückenlos war, stand man noch eine Weile auf der Dachterrasse zusammen, die Marseiller nun wieder mit dem besonderen Blick, der besagte: So ein schönes Panorama haben Sie selbstverständlich in Hamburg nicht. Nissen, der sich darüber ärgerte, dass er sich bei der Vorstellung den Namen des Mannes, der ihn interessierte, nicht gemerkt hatte, blieb nichts weiter übrig, als ihn danach zu fragen.
    Julien Grimaud, war die Antwort. Sie sprechen Französisch?
    Nissen lachte und erklärte, dass er einen Teil seiner Schulzeit in der französischen Schweiz verbracht habe. Über den Unterschied zwischen dem Marseiller Französisch und dem in der Schweiz kamen die beiden ins Gespräch. Es stellte sich heraus, dass Grimaud eine Weile in Paris und in London gewesen war, aber noch nie in Deutschland.
    Hamburg, sagte er, kenne ich nur aus Filmen. Dabei würde mich die Stadt durchaus interessieren.
    War da ein Unterton in dieser Feststellung, der Nissen aufhorchen ließ?
    Ich will Ihnen von unserer Stadt gern ausführlich erzählen, sagte er.
    Man verabredete sich für den Abend in einem kleinen Restaurant am Cours Julien. Den Treffpunkt schlug Grimaud vor. Nissen wunderte sich ein wenig darüber. Er kannte Marseille nicht besonders gut, aber er wusste, dass der Cours Julien zwar eine besonders bunte, aber nicht ausgesprochen feine Gegend war.
    Den Rest des Tages verbrachte er damit, sich die Begegnung mit Grimaud wieder und wieder vor Augen zu führen. Er analysierte jede Kleinigkeit, jede Betonung, ja, jede Bewegung des Mannes, an die er sich erinnern konnte. Woran lag es, dass er das Gefühl hatte, zwischen ihnen beiden, die sich doch gerade erst kennengelernt hatten, bestünde so etwas wie eine Übereinstimmung? Worin konnten sie übereinstimmen? Mit keinem Wort, mit keiner Silbe hatte er auf den Coup hingewiesen, den er plante. Er musste Grimaud als der ehrbare Hamburger Kaufmann erschienen sein, der er war. Was veranlasste ihn, in Grimaud so etwas wie einen Komplizen zu sehen, noch bevor er ihn näher kennengelernt hatte? Seine zu teure Kleidung? Das war doch eher lächerlich. Die Art, wie er sich darstellte? Daran gab es nichts auszusetzen.
    Nissen kam mit seinen Überlegungen zu keinem Ergebnis; vielleicht auch deshalb nicht, weil er gar nicht daran dachte und nie daran denken würde, sich selbst als einen potenziellen Kriminellen zu betrachten. Er war und blieb für sich der ehrbareHamburger Kaufmann, der in einer Notsituation zu besonderen Maßnahmen zu greifen gezwungen war. Hätte er sich als Verbrecher gesehen, wäre es ihm, vielleicht, leichter gefallen, die kriminelle Energie zu bemerken, die in Julien Grimaud versteckt war. So aber dauerte der Prozess des Sich-näher-Kennenlernens noch einen weiteren

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