Tod in Marseille
ausgefallen waren, wartete Nissen am Abend mit Ungeduld darauf, dass Grimaud ihn zu dem verabredeten Bordellbesuch abholte. Das Hauptquartier der Polizei, Grimauds Arbeitsplatz, befand sich auf der Canebière, nicht weit von seinem Hotel entfernt. Grimaud kam zu Fuß. Die Herren schlenderten durch ein paar Seitenstraßen, durchquerten das Viertel der Antiquitätenhändler, erreichten Notre-Dame-du Mont und standen endlich auf einer dunklen, ansteigenden Straße vor einem sicher schon hundert Jahre alten Wohnhaus. Ein paar Stufen führten zur Haustür, ausgetretene Steinstufen, über die Generationen von Mietern in ihre Wohnungen gestiegen waren. Grimaud sah auf seine Armbanduhr.
Ich fürchte, wir sind ein wenig zu früh, sagte er. Lassen Sie uns dort drüben noch etwas trinken, bevor wir hineingehen.
Sie überquerten die Straße und betraten ein heruntergekommenes schmales Bistro, in dem ein buntgekleideter Afrikaner hinter der Theke stand und ihnen entgegensah.
Der Mann passt nicht in diese Umgebung, dachte Nissen. Ihm war nicht klar, was ihn zu dieser Annahme bewog. Die Kleidung? Eine besondere Aufmerksamkeit in seinem Gesicht? Die Gelassenheit, mit der er ihnen entgegensah? Ein wenig von oben herab, oder?
Grimaud verlangte zwei Gläser Rotwein. Sie setzten sich an eines der drei schmuddeligen Tischchen und warteten, bis der Afrikaner eine Flasche entkorkt, zwei Gläser gefüllt und zu ihnen an den Tisch gebracht hatte. Nissen sah zu ihm auf. Dann betrachtete er die Gläser mit leichtem Widerwillen. Sie schienen ihm nicht sauber zu sein.
Madame, mon capitaine?, fragte der Afrikaner, während er neben dem Tisch stehen blieb.
Grimaud nickte kurz, und der Mann verschwand wieder hinter dem Tresen.
Wir werden angemeldet?, fragte Nissen.
Madame weiß gern vorher, wann ich komme, antwortete Grimaud. Das versetzt sie in die Lage, Dinge zu beseitigen, die mich in Verlegenheit bringen könnten. Sie ist sehr besorgt um ihre Gäste. Sie werden das gleich selbst feststellen. Ihre Mädchen haben Klasse. Ein Jammer, denke ich manchmal, dass sie bei uns keine anderen Chancen haben. Dabei haben die, die bei Madame Rose gelandet sind, wirklich Glück gehabt. Normal ist für schwarze Frauen der Straßenstrich, die billige Nummer im Auto oder hinter einer Hausecke. In manchen Gegenden beschwert sich die Stadtreinigung über die vielen Kondome, die in den Anlagen herumliegen. Das Gartenbauamt hat schon offiziell protestiert. Aber was soll man tun? Die Frauen haben keine anderen Möglichkeiten, mal abgesehen von der Tatsache, dass sie im Allgemeinen auch nur zu diesem Zweck zu uns gebracht werden.
Nissen blieb stumm. Weshalb erzählt er mir das?, dachte er. Das sind doch seine Probleme. Das Glas, das noch immer unberührt vor ihm stand, war wirklich nicht sauber.
Lassen Sie uns gehen, sagte Grimaud.
Auch er hatte nicht getrunken. Sie gingen zurück über die Straße. Nissen hatte nicht mitbekommen, auf welche Weise der Afrikaner sie angekündigt hatte. Vermutlich gab es eine Anlage, mit der er Zeichen geben konnte, ohne dass seine Gäste es merkten.
Das Treppenhaus war ungewöhnlich gepflegt. Es passte nicht zur Außenansicht des Hauses. Auf den Treppenabsätzen standen exotische Pflanzen. Die Türen trugen keine Namensschilder. Als sie den dritten Stock erreichten, öffnete sich vor ihnen eine Tür, ohne dass sie sich bemerkbar gemacht hatten.
Wenn Nissen an seinen Besuch bei Mama Rose zurückdachte, dann hatte er immer wieder das Gefühl, im Paradies gewesen zu sein. Die schwarzen Frauen waren ihm geradezu überirdisch schön erschienen. Das hatte sogar Auswirkungen auf die Wahl der Frauen, die er später zu Hause engagierte. Grimaud hatte er schon bald aus den Augen verloren. Irgendwann waren sie beide wieder unten auf der Straße. Er, Nissen, erfüllt von seinen Begegnungen und ein wenig müde, Grimaud ruhig und korrekt, als hätten sie gerade eben in einem Laden gemeinsam einen Schal ausgesucht. Ruhig und korrekt war auch seine Stimme, als er ein Gespräch begann, an das sich Nissen später mit Verwunderung erinnerte.
Lassen Sie uns ein Stück zu Fuß gehen, hatte er gesagt. Ich glaube, wir haben etwas zu besprechen.
Das alles war vor mehr als einem Jahr gewesen. Heute, am Morgen, als Grimaud ihn aus Aix angerufen hatte, um ihm mitzuteilen, das Wetter sei gut und würde in fünf Tagen umschlagen,war er glücklich gewesen. Die Idee, die Galerie zu besuchen, ein Bild zu kaufen und am Abend ein Fest zu geben, war ihm
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