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Tod in Marseille

Tod in Marseille

Titel: Tod in Marseille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Gercke
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Abend. Beide Herren verstanden sich gut, aber die Gespräche zwischen ihnen blieben, wenn man von einigen tastenden Blicken und Worten absah, absolut unverfänglich. Am Ende erfuhr Grimaud allerdings von Nissens Vorliebe für schwarze Frauen, was unter Männern nicht unbedingt ein besonderes Thema war. Es brachte aber Julien dazu, den Hamburger Gast für die nächste Nacht in ein besonderes Etablissement einzuladen.
    Bitte denken Sie nicht, dass die Damen dort unter meinem Schutz stehen, sagte er lächelnd. Und Nissen versicherte, dass er auf diese Idee ganz gewiss nicht gekommen wäre. Trotzdem schien es so, als wäre von diesem Augenblick an schon eine winzige Bresche geschlagen, sozusagen eine kleine wirkliche Verbindung zwischen ihm und Grimaud hergestellt worden; eine Verbindung, die hinter die Masken reichte, hinter denen sie sich beide versteckten.
    Schließlich trennten sie sich zu nicht allzu später Stunde. Grimaud bot Nissen an, ihn ins Hotel zu bringen, doch der lehnte ab.
    Ein Spaziergang durch die warme Nacht in Ihrer schönen Stadt, sagte er, wird mir vor dem Schlafengehen guttun. Es gibt einiges zu bedenken.
    Grimaud zeigte volles Verständnis und verabschiedete sich. Nissen begann mit seiner Wanderung hinunter zum Alten Hafen. Eine ihm bisher unbekannte Form der Erregung hatte ihn erfasst, die, so schien es ihm anfangs, von den vielen in Gruppen vor Restaurants und Kneipen herumstehenden und laut durcheinanderredenden Menschen ausgehen musste und vielleicht auch von der Musik, die aus offenstehenden Türen undFenstern drang. Das alles war ungewohnt für ihn, der sich üblicherweise in Kreisen bewegte, in denen es ruhig und zurückhaltend, durchaus nicht langweilig, aber eben ganz anders zuging. Seine Erregung verschwand auch nicht, als er die ruhige Rue d’Aubange erreichte und endlich in die Canebière einbog. Es war still, und die Nacht war warm. Ein paarmal huschten Ratten an den Mauern der Häuser entlang und verschwanden in Ritzen, die er im Dunkeln nicht erkennen konnte.
    Hafenstadt und Ratten, das passt zusammen, dachte er, obwohl er sich nicht erinnern konnte, wann er in Hamburg zuletzt Ratten auf der Straße gesehen hatte. Aber es gab welche, es musste welche geben!
    Seine Erregung hatte auch in der ruhigeren Umgebung nicht nachgelassen.
    Wie ein Aufbruch, dachte er, es kommt mir so vor, als bräche ich zu etwas Besonderem auf. Als stünde ich am Anfang von etwas, das mein Leben verändern wird. Dabei hat nichts, beinahe nichts in dem Gespräch, das hinter mir liegt, darauf hingewiesen, dass etwas Besonderes geschehen könnte. Ein Bordellbesuch stand bevor, doch damit hatte seine Aufgeregtheit nichts zu tun. Es war etwas in dem Gespräch mit Julien Grimaud geschehen, etwas, das er nicht näher beschreiben konnte, das aber ganz sicher da gewesen war.
    Gut, dachte Nissen. Wenn das so ist, dann gibt es immer noch zwei Möglichkeiten: Ich breche die Beziehung zu Grimaud ab, oder ich lasse mich einfach fallen. Aber die Beziehung abzubrechen, sofern man überhaupt schon von einer Beziehung sprechen konnte, kam nicht mehr in Frage; ja, es schien ihm sogar müßig, überhaupt einen Gedanken darauf zu verwenden.
    Ich bin nun offen für alles, dachte er, offen für alles, was da noch kommt.
    Er würde keinen Rückzieher mehr machen. Er war im Begriff, sich auf eine ungewöhnliche Wendung in seinem Leben einzulassen, und hatte sogar ein Gefühl, als sehne er sie herbei. Und er spürte, wie seine Erregung nachließ.
    Als er den Alten Hafen erreicht hatte, stellte er sich einen Augenblick an den Quai. Er stand dort, und von den Steinen zu seinen Füßen ging ein Geruch nach Fischen aus. Aus dem Fenster seines Hotels hatte er am Morgen die Stände der Fischer betrachtet, die dort ihren Fang anboten. Der leichte Geruch nach Fisch, die ruhig auf dem Wasser liegenden Jachten vor ihm, die glänzende, vom Licht der Hafenlampen und vom Mond beleuchtete dunkle Wasserfläche dahinter, all das gab ihm plötzlich ein Gefühl der Zugehörigkeit. Ja, er konnte es nicht anders beschreiben: Hamburg und Marseille, in ihm waren sie plötzlich eine Einheit, und er war ein Teil dieser Einheit. Er wollte alles dazu tun, dass die bevorstehenden Festlichkeiten ein Erfolg würden.
    Er wandte sich ab, überquerte den Kai und ging auf sein Hotel zu. Er wusste, er würde ruhig schlafen.
    Weil er ausgeruht war, und auch, weil die Verhandlungen über das inhaltliche Programm des Städtetreffens zur allseitigen Zufriedenheit

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