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Tod in Marseille

Tod in Marseille

Titel: Tod in Marseille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Gercke
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Schranken weisen.
    Sie sind zu mir gekommen, weil Sie in mir den für die Sicherheit zuständigen Beamten vermuten, und damit haben Sie recht. Aber was ist Sicherheit? Was umfasst sie?
    Er sah das spöttische Grinsen im Gesicht des Italieners, auch seine beiden Kollegen wirkten erheitert. Was dachten die sich? Dass er der Hampelmann sei, an dessen Strippe sie nur zu ziehen brauchten, um ihn in Gang zu setzen?
    Es kann sein, dass Sie in Süditalien diese Frage anders definieren als wir in Frankreich. Ich vermute, die unselige Mafia-Entwicklung bei Ihnen verlangt andere Maßstäbe. Was Marseille betrifft und seine Küsten, so versichere ich Ihnen, dass wir dem Gerücht nachgegangen wären, wenn es eins gegeben hätte. Wir sind daran interessiert, dass unsere Fischer ihren Fang jeden Morgen frisch am Hafen verkaufen können.
    Er hatte das Wort »wir« betont, und die Italiener begriffen, wie es gemeint war: als Kampfansage.
    Die Männer gingen, und Grimaud blieb nachdenklich zurück. Etwas an dem Verhalten dieses Mario und seiner Kollegen hatte ihn an sich selbst erinnert und an die Zeit, als er ein eifriger junger Beamter gewesen war, an nichts anderem interessiert als daran, Täter zu ergreifen, verbrecherische Netzwerke aufzudecken und Verbindungen zwischen Politik und Verbrechen zu entlarven. Er war ehrgeizig gewesen. Oft hatte er, besonders am Anfang seiner Laufbahn, das Gefühl gehabt, seine proletarische Herkunft nötige ihn zu besonderen Anstrengungen. Mit seinen Erfolgen, auf die seine Vorgesetzten bald aufmerksam geworden waren, verschwand dieses Gefühl. Stattdessen hatte sich nach und nach eine Art Gleichgültigkeit seiner bemächtigt. Eine Gleichgültigkeit, die ihn nicht daran hinderte, seine Arbeit zu tun, die ihn aber dazu bewog, Erfolge, die er nach wie vor aufzuweisen hatte, nicht mehr so wichtig zu nehmen. Es war abzusehen, wann das nächste Verbrechen geschehen, die nächste Korruption aufgedeckt, der nächste Bandenkrieg mit Toten stattfinden würde. Im Grunde war sein gemeinsames Engagement mit Antoine, den Fußball-Club aufzubauen, so etwas wie der letzte Versuch gewesen, die Hoffnungslosigkeit auf Verbesserung der Verhältnisse durch seine Arbeit zu durchbrechen. In Antoine hatte er einen Kameraden gehabt, der ihn verstand und der mit ihm zusammenarbeitete. Der Anschlag, bei dem der Freund zum Krüppel geschossen wurde, hatte sie beide endgültig zu Zynikern gemacht; den einen im Rollstuhl, den anderenauf einem herausgehobenen Platz bei der Kriminalpolizei. Natürlich hatte es von Anfang an Versuche gegeben, ihn auf die Lohnliste gewisser Kreise zu setzen. Er hatte ihnen nicht nachgegeben. Nach dem Anschlag wurden diese Versuche wiederaufgenommen, und wenn er den »Geschäftemachern« auch nicht gleich auf den Leim gekrochen war, so war sein Widerstand doch irgendwann geringer geworden.
    Die Geier riechen das Aas, hatte er bei sich gewitzelt.
    Inzwischen war das geheime Leben, das er nun neben seiner Arbeit oder durch seine Arbeit oder wegen seiner Arbeit führte, für ihn so selbstverständlich geworden, dass er nicht mehr darüber nachdachte. Es sei denn, da kamen drei junge süditalienische Kollegen, die ihn unabsichtlich daran erinnerten, wer er einmal gewesen war …
    War sein Verhalten ihnen gegenüber tatsächlich klug gewesen? Er war sich nicht mehr sicher. Aber im Grunde waren die Italiener mit der Bitte um informelle Zusammenarbeit zu ihm gekommen, weil sie genau wussten, dass der offizielle Weg durch bürokratische Hürden beinahe ungangbar geworden war. Es brauchte Jahre und die Überwindung unzähliger kleinlicher Eitelkeiten, um über Ländergrenzen hinweg etwas gemeinsam zu erreichen. Selbst wenn sie seine Antwort als Kampfansage aufgefasst hatten, würde noch viel Zeit vergehen, bis sie sich ungehindert vor Marseille tummeln dürften. Zeit, die er dazu nutzen würde, sich aus dem Dienst zu verabschieden und ein besseres Leben aufzubauen; ein Leben ohne Tote, ohne Bürokratie, ohne Verbrechen. Und der Deutsche würde ihm dazu verhelfen.
    Nach dem Zusammentreffen mit den Italienern verließ Julien sein Büro. Er hatte das dringende Bedürfnis, etwas zu tun, um sein seelisches Gleichgewicht wiederherzustellen. Was in solchen Fällen zu tun war, wusste er: einkaufen und kochen und über den Dächern von Marseille auf seiner Terrasse sitzen,einen besonderen Weißwein trinken und das Essen genießen. Auf dem Weg zum Alten Hafen spürte er, wie seine Gelassenheit in ihn zurückkehrte.

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