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Tod in Marseille

Tod in Marseille

Titel: Tod in Marseille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Gercke
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Er liebte seine Stadt. Er liebte sie so, wie jemand eine Hure liebt, von der er weiß, dass sie ihr Gewerbe nicht aufgeben und daran zugrunde gehen wird, trotz all der Liebe, die er ihr entgegenbringt.
    Außerdem wurde ihm immer bewusster, dass er diesen Deutschen nicht mochte, mit dem er sich auf den Deal eingelassen hatte, selbst wenn er eine Menge Geld kassieren würde. Im Grunde hasste er ihn. Der Mann war reich, auch wenn er vorübergehend anscheinend in einer Finanzklemme steckte. Dessen Stadt war reich. Solche Leute konnten nie genug haben. Hier unten am Hafen hatten die Deutschen jüdische Flüchtlinge und Einwohner Marseilles zusammengetrieben, bevor sie in die Todeslager geschickt wurden. Eine der großen Geschichten in seiner Familie war die seines Großvaters. Er war Fischer gewesen. Unter der Plane seines Boots hatte er ein jüdisches Paar versteckt; junge Leute, die wussten, dass sie getrennt werden sollten. Er hatte den Deutschen gesagt, die beiden seien seine Kinder, und die dämlichen Soldaten hätten ihm beinahe geglaubt.
    Weshalb nur beinahe?
    Er war dreißig, und die beiden waren zwanzig.
    Und dann?
    Die Soldaten waren jung und dumm und glaubten ihm. Aber dann kam der Anführer.
    Und dann?
    Sie haben euren Großvater auch gleich mitgenommen. Die Juden wurden verladen, und er kam ins Gefängnis.
    Und dann?
    Er hatte ein paar Zähne weniger, als sie ihn entließen. Sein Boot hatte man ihm weggenommen. Aber es gab ein paar Freunde. Mit denen ist er dann gefahren. Er war ein tüchtiger Fischer, so einen kann man immer an Bord gebrauchen.
    Und dann haben sie ihn in Ruhe gelassen?
    Die Deutschen ja, aber es gab ein paar Franzosen, Polizisten … Lass uns von etwas anderem reden. Was ist, hast du deine Schulaufgaben schon gemacht?
    So waren die Gespräche jedes Mal verlaufen, und er war lange Zeit sicher gewesen, dass er Polizist geworden war, um die Schande wiedergutzumachen, die die Vichy-Polizisten über Marseille gebracht hatten. Jetzt aber hatte er sich auf ein Geschäft mit einem Deutschen eingelassen. War er verrückt geworden?
    Grimaud blieb stehen, als er den Cours Belsunce erreicht hatte. Er wandte sich nach rechts und ging langsam die Rue d’Aix hinauf. In der Nähe der Bibliothek Alcazar kamen ihm zwei Frauen entgegen, die ihm auffielen, weil sie so aussahen, als gehörten sie nicht zusammen, obwohl sie nebeneinander hergingen und sich auf Französisch unterhielten.
    Eine Touristin, dachte er, was hat die mit dieser Alten zu tun?
    Dann fiel sein Blick auf einen kleinen Trupp arabischer Mädchen, die mit Büchern beladen aus der Bibliothek kamen, und sein Herz ging auf vor Freude. Dafür liebte er Marseille, dafür, dass diese Mädchen eine Chance hatten. Auch wenn nicht genug für sie getan wurde. Seine Stadt war arm. Aber sie nahm Fremde mit offenen Armen auf. Auch das liebte er an seiner Stadt.
    Der Deutsche hatte ihn nach Hamburg eingeladen. Abgesehen davon, dass private Treffen in ihrer Geschäftsbeziehung nicht besonders klug wären, würde er auf keinen Fall nach Hamburg fahren. Er wollte sich nicht den Reichtum vorführen lassen, von dem Marseille nur träumen konnte.
    Schon zweihundert Meter weiter konnte Grimaud wieder einmal beobachten, was sich an der Place Jules Guesde abspielte. Er kannte die Quartiere, in denen die Afrikaner verschwanden, wenn der Tag zu Ende war und sie ihre am Boden ausgebreiteten Waren eingesammelt hatten. Keines der Kinderhier, und es waren viele, hatte eine Chance. Längst nicht alle besuchten eine Schule. Da waren die in den Vororten besser dran, auch wenn diese Vororte von den Bewohnern der bürgerlichen Viertel gemieden wurden wie die Pest. Vor Jahren hatte er dort mit Antoine die Patenschaft für einen Fußballverein übernommen. Das war zu der Zeit gewesen, als Zinedine Zidane die Köpfe und Herzen der Jungen erobert hatte wie kein anderer. Sie hatten eine Chance gesehen, die Verehrung für den berühmten Fußballer zu nutzen. Sie wollten den Jungen beibringen, stolz zu sein, sich selbst zu lieben. Und sie wollten endlich etwas tun, was einen bleibenden Erfolg versprach. Beides war ihnen gelungen. Wenn er das Geld des Deutschen in der Hand hätte, und er zweifelte keinen Augenblick daran, dass er es bekommen würde, könnte man darangehen, ein Clubhaus zu bauen.
    Für einen kurzen Augenblick dachte Grimaud an Antoine. Sollte er ihn besuchen? Er war lange nicht dort gewesen. Er sah auf die Uhr, holte sein Telefon hervor und rief im Büro an.
    Ich bin

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