Tod in Seide
macht dir doch hoffentlich nichts aus, wenn ich es nicht für Blumen oder Süßigkeiten ausgebe, oder? Ich habe ein paar Informanten, die ich bald wieder mal schmieren muss.«
Das Telefon klingelte, und ich nahm ab. »Kann ich mit Detective Chapman sprechen?«
Ich trat einen Schritt zurück und reichte Mike, der um das Bett herumkam, den Hörer. »K. D. Was hast du?« Mike klemmte den Hörer mit der rechten Schulter ein und zog Kugelschreiber und Block aus seiner Jackentasche. Während er Jimmy Halloran einige Minuten lang zuhörte, fragte er gelegentlich ›Wann?‹ oder ›Wer?‹. In der Zwischenzeit hielt ich Mercer einen Strohhalm an die Lippen, damit er an dem Wasser nippen konnte, das er laut Anweisung der Krankenschwester austrinken sollte. »Nein, das ist noch nicht alles, aber für den Anfang nicht schlecht. Danke.« Mike legte auf.
»Anthony Bailor, Gainesville, Florida, zweiundvierzig Jahre alt. Mit achtzehn ist er in eine Wohnung eingebrochen und hat dort eine Studentin mit vorgehaltenem Messer vergewaltigt. Innerhalb eines Jahres ist er noch in drei weiteren Fällen in der Stadt identifiziert worden.«
»Und er hat weniger als zwanzig Jahre bekommen?«, fragte ich.
»Drei der Opfer hatten zu große Angst, um Anklage zu erheben. Hey, das war vor fast fünfundzwanzig Jahren. Damals war das ganz normal.«
Erst in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren wurden Opfer von sexueller Nötigung vor Gericht mit Würde behandelt. In den Siebzigerjahren hatte man damit begonnen, die Gesetze zu revidieren, die Frauen bis dato den Zugang zum System verwehrt hatten. Allerdings änderte sich die öffentliche Meinung in Bezug auf Sexualstraftaten langsamer als die Gesetzgebung. Über Jahrhunderte war eine Vergewaltigung das einzige Verbrechen gewesen, für das dem Opfer die Schuld gegeben wurde, und das Stigma, das den in ihrem Intimbereich verletzten Frauen anhaftete, hatte viele davon abgehalten, sich Gerechtigkeit zu verschaffen.
»Was nicht in seinem Strafregister stand, waren seine Jugendstraftaten – ebenfalls in Florida. Er saß einige Zeit in einem Jugendgefängnis, weil er eine Frau auf dem Parkplatz eines Supermarkts im Auto überfallen und vergewaltigt hat.«
»Also haben wir es mit einem Serientäter zu tun.«
»Er hat seine Strafe in Raiford abgesessen. Gegen das Gefängnis dort ist Attica die reinste Kosmetikschule. Er hatte dort nichts zu lachen. Ich rede von Ketten und Eisen um die Knöchel. Er muss einer der Ersten gewesen sein, der in die Gendatenbank aufgenommen wurde. Die existierte zwar noch nicht, als er verurteilt wurde, aber zu dem Zeitpunkt, als er zur Bewährung anstand, wurde von jedem Häftling bei der Entlassung der genetische Fingerabdruck genommen.« Mike sah wieder auf seinen Block und blätterte um. »Als er aus dem Gefängnis kam, ist er sofort weg aus Florida. Ich kann es ihm nicht verdenken. Wenn du Scheiß baust, dann kannst du dich auch hier in unseren Country-Club-Gefängnissen einbuchten lassen. Herzlich willkommen, Mr. Bailor. Ich liebe New York! Als Nächstes wurde er wegen Diebstahl festgenommen. Die ursprüngliche Anklage lautete auf schweren Diebstahl, aber er kam mit Besitz von Diebesgut davon. Deshalb hat er auch nur so kurz gesessen. Der Ankläger musste die Hauptanklage fallen lassen und das mildere Strafmaß akzeptieren, da der Diebstahl in Massachusetts passiert war. Anton Bailey war auf dem New York State Thruway wegen überhöhter Geschwindigkeit angehalten worden. Als die Staatspolizisten sein Auto durchsuchten, fanden sie ein paar Ölgemälde – wertvolle. Offenbar hatte Anton die Rechnungen nicht aufgehoben.«
»Massachusetts? Aus dem Gardner-Museum?«
»Nein. Richtiger Staat, falsches Museum. Aus dem Mead Art Museum in Amherst. Sie konnten Anton den Einbruch nicht nachweisen. An seinem Alibi in Buffalo ließ sich nicht rütteln. Also konnten sie ihn nur wegen Besitzes gestohlener Ware drankriegen. Sie haben ihm sogar angeboten, ihn laufen zu lassen, falls er seinen Komplizen verpfeifen würde. Aber er hielt dicht. War doch ein Kinderspiel für ihn – nach seiner Knastzeit in Florida hat er die Zeit hier doch auf einer Arschbacke abgesessen.«
Interessant. Irgendwann hatte sich Bailor also mit Kunstdieben zusammengetan und ihnen wahrscheinlich sein Einbruchstalent zur Verfügung gestellt. Es ließ sich leicht nachrechnen, dass er zum Zeitpunkt des Gardner-Diebstahls noch in Florida im Gefängnis saß, aber in jüngster Zeit hatte er sich wohl dieser
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