Tod in Seide
Wie gewöhnlich schien es eine Ewigkeit zu dauern, bis ein Aufzug kam, der auch noch in die gewünschte Richtung unterwegs war. Mit Chapman durch die Gänge zu gehen war sowieso primär ein gesellschaftliches Ereignis. Auf Grund beruflicher oder privater Kontakte kannte er praktisch jeden dienstälteren Staatsanwalt. Mike war ein sagenhafter Geschichtenerzähler, immer zu Späßen aufgelegt und der beste Ermittler bei der New Yorker Polizei, mit dem es die meisten von uns je zu tun haben würden.
Die Schwingtüren öffneten sich automatisch, als ich hinter Mike den Trakt AR1 betrat. Auf Bänken zu beiden Seiten des Raums saßen die Familienangehörigen und Freunde derjenigen Gefangenen, die innerhalb der letzten vierundzwanzig Stunden verhaftet worden waren und nun auf ihren ersten Auftritt vor dem Haftrichter warteten. Manche Mütter schienen den Tränen nahe, während sie darauf hofften, dass ihnen ein Anwalt von der Rechtshilfeabteilung mitteilen würde, dass ihre Söhne heute wieder heimgehen könnten. Andere wiederum, offensichtlich an die Prozedur gewöhnt, schliefen trotz des Lärms und des steten Kommens und Gehens tief und fest.
Wir drängelten uns zur ersten Reihe vor, die für Anwälte und Polizisten reserviert war. Ich schlüpfte auf den einzigen freien Platz zwischen zwei uniformierten Cops, die ein Nickerchen machten, bis ihre Fälle aufgerufen wurden. Mike und Armando quetschten sich in die Reihe hinter mir zwischen einen älteren chassidischen Juden im traditionellen schwarzen Mantel und einer übergewichtigen Latina, die mit kläglicher Flüsterstimme immer und immer wieder eine Art Gebet herunterleierte.
Die Klimaanlage war ausgefallen, und die Fenster in dem zweistöckigen Raum waren so hoch, dass man sie nicht öffnen konnte. Jeder der anwesenden Anwälte, Stenografen, Gerichtspolizisten und Gerichtsschreiber fächelte sich mit Akten oder Papierrollen Kühlung zu. Der Gestank war kaum zum Aushalten.
Sobald mich Richter Hayes sah, winkte er mich zu sich an den Richterstuhl heran. Als ich aufstand, fasste mich Chapman an der Schulter. »Ich komme mit. Dieser Raum stinkt wie ein Weibsbild, mit dem ich mal befreundet war.«
»Können wir näher treten, Euer Ehren?«, fragte ich, als ich die niedrige Schwingtür, die den Zuschauerraum von den Anwaltstischen abtrennte, hinter mir schloss.
»Natürlich, Miss Cooper. Leute, wir machen zehn Minuten Pause.« Hayes Ankündigung wurde von fast allen Anwesenden mit Stöhnen quittiert. »Lasst uns ins Ankleidezimmer gehen. Brauchen wir einen Protokollführer?«
»Ja, Sir.«
Hayes war vor über zehn Jahren einer meiner ersten Supervisoren in der Staatsanwaltschaft gewesen. Ich hatte großen Respekt vor seinem Urteilsvermögen und schätzte seinen Rat und seine Freundschaft außerordentlich.
Mike, Armando und ich folgten Hayes in die kleinen Kammern hinter dem Gerichtssaal. Normalerweise saß Hayes im Schwurgericht des Obersten Gerichtshofes des Staates New York, leistete aber eine Woche Vertretungsdienst, da so viele der Richter im Juli und August ihren Urlaub nahmen. Er begrüßte Mike und mich herzlich, und wir stellten ihm Armando vor.
»Ich würde Sie ja gerne bitten, es sich gemütlich zu machen, aber das ist offensichtlich unmöglich.«
Die kleine Kammer war leer bis auf einen alten Holzschreibtisch, drei Stühle und ein schwarzes Drehscheibentelefon, das an der Wand hing. Sie war in dem Amtsgrün gestrichen, das man vor fünfzig Jahren fassweise nach New York gekarrt haben musste und das nun an allen Ecken und Enden abblätterte. Neben dem Telefon waren die Rufnummern der meisten Feinkostläden und Pizzerien im Umkreis von eineinhalb Kilometern mit Tinte an die Wand gekritzelt, wahrscheinlich von faulen Gerichtspolizisten, die sich während der Nachtschicht das Essen bringen ließen.
Ich gab dem Stenografen den Grund für unseren Besuch zu Protokoll, damit der Richter die üblichen Fragen stellen konnte, bevor er den Durchsuchungsbefehl unterzeichnete.
»Scheint alles in Ordnung zu sein, Alex.« Er unterschrieb die Formulare und plauderte mit Mike, während ich zurück zum Gerichtsschreiber ging, um mir das offizielle Siegel auf die Dokumente geben zu lassen. Als ein Gerichtspolizist die Menge mit einem Hammerschlag zur Ruhe rief und Hayes wieder seinen Platz auf dem Richterstuhl einnahm, verließen wir den Gerichtssaal mit genau den Unterlagen, die wir brauchten, um die Ermittlungen vorantreiben zu können.
Vom Anklageerhebungstrakt AR1 war
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