Tod in St. Pauli: Krimi Klassiker - Band 1 (German Edition)
Er wußte, daß er hier sitzen bleiben würde, um sie wie ein gefangenes Kaninchen zu erwarten.
Sie stiegen nicht höher, sondern blieben vor Susanns Tür stehen und läuteten. Die Glocke schlug hell und schrill an. Susann hatte das Papier wieder entfernt. Aber sie öffnete nicht.
Das zweite Mal ließen sie es fast eine Minute ununterbrochen klingeln, in der Wohnung rührte sich nichts.
»Einfaches Schnappschloß«, sagte Freds Stimme flüsternd. »Bertie, los, zeig, was du kannst!«
»Moment!« Berties Stimme klang eifrig und hell. Paul konnte ein leichtes metallisches Klirren hören.
»Nicht so laut!« zischte Harald. »Wenn sie etwas hören, drehen sie den Schlüssel um, dann wird es schwieriger.«
»Schon gut«, sagte Bertie. Paul hörte ein Kratzen, einen unterdrückten Fluch von Fred, dann wieder ein Schaben. Plötzlich kicherte Bertie, und im nächsten Moment flog die Tür auf.
Innen kreischte Susann auf.
»Halt's Maul, dir geschieht nichts!« brummte Harald.
Fred lachte. »Aber Harald! Immer gelockert im Verkehr mit Damen!«
Susann fauchte wütend: »Raus hier, oder ich schrei das ganze Haus zusammen!«
»Schrei nur, Mädchen – es wird dein letzter Schrei sein!« sagte Fred.
»Was wollt ihr?« fragte Susann.
»Den Jungen, den kleinen Paul, weiter nichts!« Jemand schlug die Tür zu. Unverständliches Gemurmel.
Verschwinde! dachte Paul. Los, hau ab – jetzt sind sie alle drinnen. Unten ist vielleicht noch der bärtige Walter, aber an einem kommst du schon vorbei ... Wenn sie dich in der Wohnung nicht finden, dann werden sie hier oben suchen ... Aber er blieb sitzen. Gebannt lauschte er auf die Geräusche in der Wohnung. Er hörte Susann noch ein zweites Mal leise aufschreien, dann war es wieder ruhig.
Komisches Haus, dachte er. Komische Leute müssen hier wohnen. Wenn sich in der Fehrstraße keiner um den andern kümmert, dann ist das verständlich, aber hier ... Unten ging Susanns Tür wieder auf. Freds Stimme:
»Adios, Puppe. Wir erwischen ihn so oder so, richt ihm das aus. Und wenn du nicht spurst, dann hilft dir auch kein großer Bruder. Aber das würde mir ehrlich leid tun. Du bist fast meine Kragenweite!«
»Schert euch weg!«
Susann verriegelte die Tür von innen. Paul hörte das Scheppern der Metallglieder, als sie die Sicherheitskette vorhakte.
Sie schauten nicht weiter nach. Hintereinander gingen sie zum Lift und fuhren hinunter. Paul blieb auf der Treppe hocken, bis es wieder dunkel wurde. Er blieb auch danach noch dort. Er hatte eine Idee.
Er dachte an Fred und Harald, an den alten Kodell und an Susann. Dann hörte er auf zu denken und schlief ein.
9
Der Schmerz in seiner rechten Seite weckte ihn. Von irgendwoher kam fahles Morgenlicht herein und beleuchtete die hellgrün getünchten Wände. Im Haus war es vollkommen still.
Paul stand mühsam auf und rieb sich die schmerzende Stelle, in die sich während der ganzen Nacht die Stufenkante gedrückt hatte. Er hatte Durst, sein Hals war wie ausgedörrt. Er stolperte die Treppe hinunter, das Geräusch hallte laut in dem schlafenden Haus. Vor Susanns Tür blieb er stehen.
Er dachte an die vergangene Nacht und an die Idee, die ihm gekommen war. Je länger er an Susann dachte, desto besser gefiel ihm die Idee. Einmal hatte er vielleicht Glück. Unwahrscheinliches Glück, denn so einen Zufall, so eine Gelegenheit gab es sobald nicht wieder ... Paul grinste vor sich hin, hob die Hand und klopfte leicht an die Tür.
Erst beim dritten Mal hörte er Susanns Schritte auf der anderen Seite. »Wer ist da?« fragte sie verschlafen.
»Ich, Paul.«
»Verschwinde!«
»Mach auf!« forderte er und bemerkte verwundert, daß er versuchte, Freds Tonfall nachzuahmen.
»Hau ab!« wiederholte sie, aber es klang nicht mehr so sicher.
»Los, mach auf, oder ich schlag Krach!«
Susann zögerte kurz und klinkte dann die Sicherheitskette aus. Paul war wütend. Vor dem Krach hatte sie Angst, vor ihm nicht.
Als die Tür offen war, stapfte er wortlos an ihr vorbei und ging ins Badezimmer. Er drehte das kalte Wasser auf und hielt seinen Kopf darunter. Als er sich tropfnaß wieder aufrichtete, sah er im Spiegel Susann. Sie hatte einen weinrot und weiß gemusterten Bademantel an, ihr Haar war glatt zurückgekämmt.
Paul zog eins der Handtücher vom Halter und trocknete sich ab, dann suchte er sich sorgfältig einen Kamm aus und kämmte sich. Susann beobachtete ihn.
»Leider habe ich keinen Rasierapparat für dich«, sagte sie bissig, »aber vermutlich
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