Tod in St. Pauli: Krimi Klassiker - Band 1 (German Edition)
Geschirrbergen.
Paul war wieder ruhig und fragte nach durchsichtiger Plastikfolie. Die Verkäuferin zeigte ihm drei Stärken. Paul suchte sich die dickste aus, ohne die glatte, knisternde Bahn zu berühren und sah zu, wie die Verkäuferin die Folie neben der Leiste abrollte. Als sie die Schere anlegen wollte, rutschte ihr die Folie weg.
»Fassen Sie bitte mit an?« fragte sie höflich. Pauls Hand zuckte automatisch vor, aber sofort dachte er wieder an die Fingerabdrücke. Die Folie würde bestimmt in der Bank zurückbleiben. Er drehte sich um und sah interessiert in eine andere Richtung.
»Würden Sie bitte ...« begann die Verkäuferin noch einmal, brach dann ab und murmelte etwas Unverständliches über die heutige Jugend und ritschte heftig mit der Schere in die Fläche hinein. Als sie fertig war, drehte Paul sich um und lächelte, aber die Verkäuferin behandelte ihn jetzt wie Luft.
Ich habe heute einfach kein Glück, dachte er und fragte nach einem Feuerzeug. Er nahm das erste beste, kaufte Klebeband und Bindfaden und ging zur Hauptkasse.
Als er sein unförmiges Paket am Packschalter bekam, rechnete er aus, daß er schon fast das ganze Geld ausgegeben hatte.
Der letzte Einkauf machte keine Schwierigkeiten. Paul wußte, was er wollte, und er wußte, wo er es fand.
Er rannte den ganzen Weg bis zur Fehrstraße und polterte atemlos in das Messerspezialgeschäft vom alten Hein. Es war ein zigarrenschachtelgroßer Laden. Das einzige Licht fiel durch die verstaubte Glastür; Hein selber saß klein und pockennarbig hinter einem Ladentisch, der sich unter den sonderbarsten Messern schier bog. Malaienkrise, Macheten, Dolche, Taschenmesser, Küchensägen, Schnappmesser, Fallklingen, neue blitzende Messer und alte, die schon einiges von der Welt gesehen hatten und bei denen man nicht wissen konnte, ob die dunklen Flecken wirklich Rost waren.
An der linken Wand hing eine Tafel mit verschiedenen Mustern, Blumen, Fischen, Mädchen, Schiffen und Phantasiegebilden aus Herzen und Pfeilen, Schriftzügen und Mädchennamen. Daneben war ein Vorhang, dahinter lag die Tätowierungswerkstatt von Hein.
»Tag, Hannes!« begrüßte ihn Hein. Er nannte alle Männer so, die in seinen Laden kamen, und als Paul sein Messer hatte, war er zwar einen Fünfziger los, aber er konnte sicher sein, daß Hein sich nie an ihn erinnern würde, wer immer nach ihm fragen sollte.
Aufatmend blieb er vor der Tür stehen.
Alles in allem gar nicht so schlecht, dachte er. Ich habe mich zwar etwas ungeschickt benommen, aber meine Fingerabdrücke sind auf keinem der Gegenstände, die ich besorgt habe.
Paul hatte das Stemmeisen, das er berührt hatte, vollkommen vergessen.
26
Paul ging über die Straße zum Helgoländer hinüber. Im Hausgang des Nebenhauses stand Martens, der hastig verschwand, als er ihn sah. Paul wollte ihm zuerst nachlaufen, dachte aber dann an das Paket, das ihn behinderte und zuckte die Achseln.
In der Kneipe war Franz gerade dabei, die Stühle von den Tischen zu holen; aus der Küche kam Bratenduft. Paul hörte Topfklappern und das Singen einer Frau.
»Hey«, sagte er, »du scheinst jeden Tag neues Personal zu haben,«
Franz sah kurz auf und arbeitete dann weiter.
»Hunger hab ich!« Paul ging zur Bar, packte seine Pakete auf einen Hocker und setzte sich daneben. Franz kam langsam um die Theke herum und blieb vor Paul stehen. Seine Augen waren schmal.
»Hast du es dir wirklich so vorgestellt?« fragte er leise.
»Was?« fragte Paul verständnislos und zupfte etwas an seinem Jackenärmel, damit Franz die neue Uhr sehen konnte.
Franz achtete nicht darauf. Er beugte sich vor: »Bist du jetzt zufrieden? Hast du jetzt bezahlt?«
Paul wich erschrocken zurück. »Was ist denn los mit dir? Was habe ich bezahlt? Du hast mir doch das Geld geliehen, oder? Ich habe ...« Er brach ab. Allmählich dämmerte ihm, daß Franz nicht sein Geld meinte, und dann fiel ihm Bertie wieder ein. »Franz, was ist?«
Franz bückte sich hinter die Theke und brachte ein Abendblatt hervor. Er knallte es vor Paul auf den Tisch und beobachtete ihn beim Lesen.
Jetzt hatten sie es ganz groß auf der ersten Seite gebracht. TOD IM HAFEN. Und dann ein langer Absatz über die Zunahme der Gewaltverbrechen in Hamburg und über das Bandenunwesen und einiges mehr. Paul überflog die ersten Zeilen, bis er zum eigentlichen Bericht kam.
Die Polizei hatte festgestellt, daß Norbert Timm, der von seinen Freunden Bertie genannt wurde, nicht an der Elbe erstochen
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