Tod in St. Pauli: Krimi Klassiker - Band 1 (German Edition)
und starrte sein Spiegelbild an.
Er bückte sich wieder unter das kalte Wasser und trocknete sich mit Susanns Handtuch ab. Er roch ihr Parfum und wurde ruhiger. Langsam schlenderte er zur Küche und lehnte sich gegen den Türpfosten.
»Jetzt muß ich was essen!«
Susann sah ihn erstaunt an, und schlug aber zwei Eier in die Pfanne. Paul ging in das große Zimmer, machte Licht und schüttelte die Tüten aus. Er zog die weichen Handschuhe über, rollte sie wieder ab und zog sie an, bis sie sich leichter überstreifen ließen. Dann packte er mit den Handschuhen an den Händen die ganzen Pakete aus und richtete den flachen Werkzeugkasten ein. Den Rest packte er in die altmodische Lederreisetasche, die Susann ihm hingestellt hatte. Er kontrollierte sorgfältig den Lederriemen am Kasten und überlegte genau, welche Dinge er gleich zu Anfang brauchte, um in die Bank hineinzukommen, und legte sie gesondert daneben.
Plötzlich horchte er auf.
Er hatte ein leichtes Geräusch gehört.
Es regnete. Dünn und gleichmäßig.
Paul zog die Handschuhe aus und ging wieder in die Küche. Er schnallte seine Uhr ab und legte sie neben den Teller, während er aß. Susann häufte Rührei auf den Teller und bestrich ihm drei Scheiben Brot dick mit Butter. Paul trank ein zweites Glas Milch und wischte sich den Mund ab.
»Los, gehen wir!« sagte er.
Susann lächelte. Sie trug noch immer die hautengen Hosen und den schwarzen Pullover; darüber hatte sie jetzt noch eine Jacke aus weißem Nappaleder angezogen.
Paul streifte die Handschuhe wieder über, steckte die kleine Taschenlampe, die Tube mit dem Kunstharzkleber und die Folie in die Taschen, nahm die Reisetasche und den Werkzeugkasten und sah sich noch einmal um, ob er nichts vergessen hatte.
Franz hat recht, dachte er, ich bin ein Stümper. Aber die Angst war weg; sein Magen hatte aufgehört zu schmerzen.
Es war kein richtiger Regen; die einzelnen Tröpfchen schienen schwerelos in der Luft zu hängen, wie bei Nebel. Sie gingen nebeneinander, Paul dicht neben den geparkten Autos. Spielerisch ließ er alle paar Schritte die Taschenlampe aufleuchten. Als sie in der Fehrstraße ankamen, hatte er schon drei Wagen gefunden, in denen der Knopf der Türverriegelung nicht niedergedrückt war.
Paul stellte sich unter das Vordach vom Helgoländer und wartete, bis Susann wieder zurückkam. Sie gab ihm ein längliches, in Packpapier gewickeltes Paket und sagte:
»Franz wollte dich noch einmal selbst sprechen.«
»Aber ich will ihn nicht sprechen!« Paul zog die klirrenden Dietriche aus dem Paket und steckte sie in die Hosentasche. Das übrige Paket verstaute er in der Reisetasche.
»Dann läßt er dir etwas ausrichten.« Susann sah ihn von der Seite an: »Pier 69, 5 Uhr 45.«
Paul brauchte ihr nicht zu antworten, denn der Bus kam im gleichen Augenblick, und sie stiegen ein. Susann ging nach vorne durch, Paul blieb mit der Reisetasche hinten stehen.
Sie trafen sich erst wieder im Bahnhof Altona. Paul gab Susann den Kasten und die Tasche und ging fort, ohne noch etwas zu sagen. Er lief schnell durch die dunklen Straßen; die rangierenden Züge und die Straßenbahnen übertönten seine Schritte.
Einmal glaubte er, hinter sich Schritte zu hören, aber als er sich umsah, war die Straße leer.
Als er bei dem Haus ankam, fing es etwas stärker zu regnen an. In Kulmhofs Wohnung brannte kein Licht. Paul sah auf die Uhr.
Es war fast elf.
Er schloß die Haustür auf und stapfte schwer die Stufen hinauf, aber niemand begegnete ihm. Er schloß die Wohnungstür geräuschvoll auf, klapperte mit seinen Schlüsseln, knipste das Licht im Gang an und ging in sein Zimmer.
Das Bett war gemacht worden. Er zog seinen Koffer heraus und sah, daß die Sachen etwas anders lagen.
Einen Moment stellte er sich vor, was die Alte für ein Gesicht machen würde, wenn er ihr einen Zettel in den Koffer legen würde, ‹Das Schnüffeln ist der Wirtin Lust› oder so ähnlich, aber dann fiel ihm gleich wieder ein, daß er vielleicht nie wieder zurückkommen würde. Einmal dachte er auch an das Messer und an Bertie; jetzt berührte es ihn kaum.
Er zog die feuchte Jacke aus und warf sie über das Bett. Dann ging er hinüber ins Badezimmer, stolperte absichtlich über den Läufer, ließ das Wasser besonders laut einplätschern, hantierte mit dem Zahnputzglas, ließ die Seife ins Becken fallen und gurgelte laut und ausgiebig. Dann packte er seine Sachen zusammen, winkte seinem Spiegelbild zu und ging hinaus.
Helga
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