Tod in St. Pauli: Krimi Klassiker - Band 1 (German Edition)
träge. Es ist wieder genauso wie vor zwei Jahren. Ein Toter, das viele Geld und ich.
Und die Polizei.
Er war froh, daß der Schmerz plötzlich zurückkam. In den blutenden Handflächen, im Magen und im Rücken. Obwohl nur Sekunden vergangen waren, kam es ihm vor, als würde er hier schon seit Stunden warten.
Regungslos stand er da und sah den Scheinwerfern des ersten Peterwagens entgegen, die am anderen Ende der Straße auftauchten.
31
Die ersten Bäume der Anlage wurden schon von den beiden Lichtstreifen erfaßt und grün gefärbt, als Paul aus seiner Erstarrung aufwachte. Er wandte sich dem Opel zu, aber dafür war es zu spät. Er duckte sich, huschte dicht am Haus entlang vor dem Streifenwagen her und bog in letzter Sekunde um die Ecke.
Er überquerte die nächste Straße, rannte den ganzen Block entlang zum Holstenwall und wartete auf eine Lücke im ruhig fließenden Verkehrsstrom. Er wollte sich zwingen, unauffällig zu schlendern, aber sein verdreckter und zerrissener Aufzug ließ das nicht zu. So schnell er konnte, lief er zu den Wallanlagen hinüber, kletterte hoch und warf sich in die ersten Büsche. Er stolperte über ein niedriges Eisengeländer und sank tief in die vom Regen aufgeweichte Erde ein. Er kam an einen Kiesweg, überquerte ihn und tauchte unter die hohen Bäume.
Keuchend lehnte er sich an einen Stamm; ein eisiger Tropfenschauer fiel auf ihn herunter, das Wasser lief über seine Haare und sein Gesicht und vermischte sich mit den Tränen.
Er weinte lautlos.
Hinter den schwarzen Schatten der Bäume sah er von Zeit zu Zeit Scheinwerfer aufleuchten und wieder verschwinden. Er hörte ein drittes Martinshorn aufheulen und herankommen. Knappe Kommandostimmen riefen sich etwas zu. Über ihm rauschten die Äste im Wind, in den Büschen wisperte es.
In kurzer Zeit würden sie den ganzen Block abgeriegelt haben und den Park bis zur Glacischaussee hin mit Suchhunden durchkämmen.
Sie würden den Opel finden und die Werkzeuge bis zu den Geschäften zurückverfolgen. Paul sah sich plötzlich wieder an dem langen Holztisch bei SAEGER & TROSSMANN stehen: Das Stemmeisen fiel aus seiner Hand, er hob es auf. Sie würden seine Fingerabdrücke daran finden und brauchten bloß in ihren Karteien nachzusehen. Ein paar Razzien, und sie hatten ihn ... Er warf die Handschuhe fort.
Susann!
Ausgerechnet Hontars Schwester. Paul senkte den Blick und sah den kleinen Gegenstand in seiner rechten Hand an und bog den Zeigefinger um den Hahn.
Der Lärm auf der Straße wurde stärker. Paul streckte den Finger aus und ließ die Pistole einmal kreisen, bevor er sie in die Tasche schob. Er fühlte das Knistern von Susanns letzten Geldscheinen; es mußten noch fast 140 Mark sein, aber das spielte keine Rolle.
Geld brauchte er jetzt nicht mehr.
Langsam arbeitete er sich bis zur Grenze der Grünanlagen hindurch. Der Holstenwall war schon gesperrt. Paul hörte die wütenden Autohupen und die Stimmen der Polizisten, die den Verkehr umleiteten.
Er klopfte sich provisorisch den Schmutz von den Hosen und dem Hemd und lief zum Millerntordamm hinüber. Er hielt sich immer im Schatten der Häuser und vermied Lampen und helle Schaufenster. Sobald er eine Uniform entdeckte, begann er zu schlendern, dann rannte er wieder. Hinter dem Zirkusweg wurden die Gehwege voller, und er konnte sich unter die anderen Bummler mischen. Eine Gruppe Betrunkener schwankte Paul entgegen, sie hatten Schießbudenblumen angesteckt. Paul dachte eine Sekunde lang an die rotglasierten Liebesäpfel und daran, daß er sie nie mehr essen würde.
Auf der Reeperbahn leuchteten die Neonlichter in allen Farben; es war taghell. Die nasse Straße und die Fensterscheiben spiegelten die Lichter wider, die weißen und blauen Uniformen der Matrosen wirkten frisch und festlich. Menschen von einer Straßenseite zur anderen. Es war der übliche nächtliche Trubel; von den Aufregungen drei Straßen weiter war nichts zu spüren. Aber bald würde es anders aussehen. Neue Uniformen würden auftauchen. Die Razzien würden die Straßen leerfegen und die Lokale ebenso.
Paul ging weiter. Die Straßen wurden stiller, die Bars finsterer, die Hotels kleiner. Susann! dachte er. Susann ...
An jeder Querstraße wartete er; kein Peterwagen kam hierher, aber er hörte ihre Sirenen und sah einmal einen Krankenwagen über die Kreuzung rasen. Doch das war in St. Pauli nichts Ungewöhnliches.
Die Geräusche des Hafens wurden immer deutlicher und lauter. Aber Paul ging nicht bis zu den
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