Tod in Wacken (German Edition)
Auto fiel. Lyn war sich sicher, dass es Cornelias Auto war, als er jetzt gebückt und langsam weiterschlich, seine Augen auf die Hütte vor sich gerichtet.
»Herr Stobling.« Es war mehr ein lautes Flüstern, aber Lyn wagte nicht, noch lauter zu sprechen. »Herr Stobling!«
Ohne eine Regung lief Andreas Stobling über das Kräuterbeet und blickte in das linke Fenster auf der Rückseite der Hütte. Lyn rief noch einmal. Diesmal etwas lauter. Er reagierte nicht. Sie war sich nicht sicher, ob er sie nicht hören konnte oder es nicht wollte. Es spielte auch keine Rolle mehr, denn alles ging plötzlich viel zu schnell.
Andreas war weitergeschlichen zu dem rechten Fenster, linste hinein und stieß einen Schrei aus. »Conny!«
Er sprang auf und rannte um die Hüttenecke. Sein Ziel war die Tür. Lyn war im gleichen Moment aufgesprungen, als er losgesprintet war. Im Laufen zog sie ihre SIG Sauer.
Andreas Stobling warf ihr einen ebenso überraschten wie erschrockenen Blick zu, als sie hinter den Bäumen auftauchte, aber er hatte die Klinke schon in der Hand.
Mit einem lauten »Scheiße!« stieß er die Tür auf und betrat die Holzhütte.
Lyn hatte die Hausecke erreicht, als ein durchdringender Schmerzensschrei durch die offen stehende Tür nach draußen drang. Ein Schrei, der ihr einen Schauer über den Rücken jagte.
Neben der Tür presste sie sich einen Moment mit dem Rücken an die Hüttenwand. Andreas schrie wie am Spieß, während eine Stimme, die Lyn sofort Joost Beutler zuordnen konnte, voller Häme Sätze ausspie, die sie durch die Schreie nur bruchstückhaft verstehen konnte.
»Ja, schrei! … die Strafe für das … deine schwarze Seele … in der Hölle schmoren … Verabschiede dich von deinem verwirkten Leben …«
Lyn kniff verzweifelt die Augen zusammen. Scheiße! Wieder einmal war sie allein auf weiter Flur!
Sie atmete aus, nahm ihre Waffe in beide Hände, schwenkte herum zur Tür, stieß sie mit dem Fuß weiter auf und schrie: »Hände hoch, Beutler!«
Sie hatte laut schreien müssen, um die Schmerzenslaute von Andreas zu übertönen. Sie hatte einfach drauflosgeschrien, ohne zu wissen, welcher Anblick sie erwartete. Das, was sie sah, als sie jetzt im Türrahmen stehen blieb, die Arme mit der Waffe lang ausgestreckt, musste in Sekundenschnelle verarbeitet werden.
Andreas Stobling aalte sich vor Schmerzen auf dem Holzboden. Rot quoll das Blut durch seine Finger, die er in einem Moment an die Seite seines Kopfes, im nächsten Moment auf seine Schulter presste, in der ein Spatenblatt steckte. Ein groteskes, grauenhaftes Bild, denn mit jeder seiner Bewegungen, aus dem Schmerz geboren, bewegte sich auch der Spaten und verursachte einen noch größeren Schmerz.
Übelkeit brach über Lyn herein. Andreas’ Ohr war ein blutiges Stück Fleisch, es hing nur noch an seinem Läppchen. Ihre Arme ruckten in Richtung des anderen Mannes, der gerade dabei war, eine Spritze von einem kleinen Tischchen zu nehmen.
Den zusammengesunkenen, leblosen Körper auf dem Lehnstuhl in der gegenüberliegenden Ecke des Raumes nahm sie nur aus dem Augenwinkel wahr. Sie wusste, dass es Cornelia Stobling war, auch ohne zielgerichteten Blick, denn sie durfte ihr Augenmerk nicht von Joost Beutler abwenden, der zu ihrer Linken stand und sie völlig überrascht anstarrte.
Lyn trat zwei Schritte vor, direkt neben den sich windenden Andreas Stobling. »Lassen Sie die Spritze fallen und nehmen Sie die Hände hoch, Herr Beutler!«
»Frau Harms.« Seine Stimme klang merkwürdig neutral, während er für einen Moment die Augen schloss. Sein Kopf fiel nach vorn, nahm eine demütige Haltung ein.
»Herr Beu–«
Sein plötzliches »Ja!« ließ sie verstummen. Er ließ die Spritze einfach auf den Boden fallen.
Lyn schluckte. Das war schon mal gut. Was ihr nicht gefiel, war die Tatsache, dass er seine Hände nicht hob, sondern sie wie bittend ausstreckte, und langsam auf sie zuging.
»Ich werde Ihnen nichts tun, Frau Harms. Das ist ein Versprechen.«
Lyn brach der Schweiß aus allen Poren. Er wollte ihr nichts tun? Er musste völlig verrückt sein. Sie hatte die Waffe.
»Schießen Sie!«, schrie Andreas Stobling neben ihr. »Schießen Sie, verdammt noch mal.«
Der Geruch seines Blutes drang in Lyns Nase. Ihre Hände begannen zu zittern. »Bleiben Sie stehen, Herr Beutler! … Oder ich schieße!«
»Das werden Sie tun müssen, Frau Harms.« Joost Beutlers Gesicht zeigte keine Regung, keine Angst, aber auch keine Anzeichen von
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