Tod in Wacken (German Edition)
Selbstmordgedanken verloren.«
Lyn griff nach dem Brief. Es waren nur wenige Zeilen. Geschrieben in einer unregelmäßigen, fast kleinkindlichen Schrift. Lyn las laut.
Lieber Papa,
sei nicht böse. Und auch nicht traurig. Ich bin auch nicht traurig. Jetzt geht es mir viel besser. Vergiss nicht, Goliath aus dem Kühlschrank zu holen.
Sei nicht traurig. Deine Judith
Lyn spürte die Gänsehaut auf ihren Armen. Fünf karge Zeilen Abschied vom Leben. »Was hat das mit diesem Goliath zu bedeuten?«, fragte sie Wilfried.
»Die Kollegen vom SG 1 haben geschrieben, dass es sich dabei um eine Griechische Landschildkröte handelt. Die machen Winterschlaf und brauchen Kälte. Und anscheinend gibt es Leute, die stecken ihre Schildkröten dann für mehrere Monate in den Kühlschrank.«
Lyn war dankbar, dass sogar Thilo nach diesen Worten schwieg. Normalerweise hätte er einen Spruch gebracht, aber als Vater von zwei Kindern war auch ihm – genau wie allen anderen – nach diesen Zeilen nicht zum Lachen.
Durchdringende Orgelmusik unterbrach den Moment der Stille. Alle starrten auf Volker Aschbachs Handy, das auf dem Tisch lag. »Bach. Toccata«, erklärte er, bevor er den Klingelton abwürgte und das Gespräch annahm. Als er wieder auflegte, lächelte er.
»Die Kripo Weimar hat jetzt den Namen des Begleiters von Thomas Lug, mit dem er in den letzten beiden Jahren zusammen in Wacken war. Er ist der Lebensgefährtin bekannt. Sie hatte zwar keine Adresse, aber die Kollegen haben sie soeben herausgefunden.«
Er blickte auf seine Notizen, die er während des kurzen Gespräches gemacht hatte. »Er wohnt in Hamburg-Bergedorf in der Wentorfer Straße. Telefonisch ist dort niemand zu erreichen. Aber die Kollegen bleiben dran. Und je nach Lage der Sache sollten wir dann morgen früh einen Abstecher nach Hamburg machen und schauen, ob uns der Mann weiterhelfen kann.« Er sah noch einmal auf seinen Block. »Stobling heißt er. Andreas Stobling.«
FÜNF
»Sie sagen mir jetzt sofort, was mit meinem Bruder ist!« Die grünen Augen der jungen Frau, die Lyn und Volker Aschbach die Wohnungstür in dem Hamburger Mehrfamilienhaus geöffnet hatte, blitzten vor Wut, während sie zur Seite trat, um die beiden Beamten an sich vorbeigehen zu lassen. Ihr Gesicht zeigte die feine Blässe, die den meisten Naturrotschöpfen chromosomenbedingt zugeordnet war. Sie deutete in das Wohnzimmer.
»Gestern Abend hatte ich einen Anruf von der Polizei. Ich dachte schon, ihm ist etwas passiert. Aber Ihr Kollege sagte, Sie wollen ihn nur zu einer Angelegenheit befragen … Was ist denn los? Hat er etwas angestellt? Sie machen mir Angst.«
Volker Aschbach lächelte, während er sich auf den angebotenen Sessel setzte. »Es ist wichtig für uns, Ihren Bruder zu sprechen. Er ist mit einem Mordopfer bekannt, und in dieser Angelegenheit haben wir einige Fragen an ihn. Sie haben unserem Kollegen gesagt, dass Ihr Bruder zurzeit auf dem Festival in Wacken ist? Das bringt uns der Thematik dann noch einmal näher.«
»Mord?« Cornelia Stobling sah entsetzt von Volker Aschbach zu Lyn.
Lyn nickte. »Ist es richtig, dass Ihr Bruder kein Handy hat, auf dem wir ihn erreichen können?«
»Ja, ja. Das habe ich Ihrem Kollegen gestern Abend schon gesagt. Mein Bruder ist nicht der klassische Handy-Typ.«
»Wissen Sie denn, wo er sich in Wacken aufhält?«, fragte Lyn. »Hat er dort eine feste Unterkunft, wo wir ihn erreichen können?«
Cornelia Stobling schüttelte den Kopf. »In den letzten beiden Jahren hat er irgendwo privat gewohnt. In so ’ner Art Gartenlaube. Zusammen mit einem Kumpel. Aber in diesem Jahr nicht. Er wollte lieber zelten, um Geld zu sparen … Andy bereist gern die Welt. Meistens arbeitet er sechs Monate im Jahr in Deutschland. Als Bauhelfer oder Taxifahrer. Das restliche halbe Jahr verbringt er dann an den sonnigen Stränden der Welt. Thailand, Malaysia. Er braucht nur die Sonne und das Meer. Und in diesen Ländern kommt er mit dem hier verdienten Geld locker über die Runden. Er ist mit wenig zufrieden.« Sie lächelte. »Andy ist ein Lebenskünstler.«
»Sagen Ihnen die Namen Thomas Lug, Henning Wahlsen oder Stefan Kummwehl etwas?«
»Nie gehört.«
»Thomas Lug soll der Kumpel sein, mit dem Ihr Bruder in den vergangenen Jahren zusammen in Wacken war.«
»Thomas Lu– … Ja. Ja, das kann sein!« Cornelia Stobling fasste sich an die Stirn. »Tommy heißt der Kumpel, mit dem er sich in Wacken wieder treffen wollte. Das wird dann wohl dieser
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