Tod in Wacken (German Edition)
Klassiker bei Rache für eine Vergewaltigung. Allerdings stört mich etwas an dieser These. Das Festival war Anfang August. Wenn es wirklich um Vergewaltigung ging, warum hätte Judith Schwedtke dann schweigen sollen? Warum hat sie die Männer nicht angezeigt?«
»Scham«, sagte Lyn. »Sie wäre nur eine von vielen, die eine Vergewaltigung nicht anzeigt.«
»Für mich ergibt das alles trotzdem keinen Sinn«, meinte Lukas Salamand. »Die Zeitabstände passen überhaupt nicht. Wenn wir bei der Vergewaltigungsszene bleiben, hat sie sich im vergangenen Jahr abgespielt. Dann dauert es ein halbes Jahr, bis Judith Schwedtke sich umbringt, und dann vergehen noch einmal acht Monate, bis ihr Vater loszieht, um sie zu rächen? Macht für mich keinen Sinn. Sie hat in ihrem Abschiedsbrief an ihren Vater keine Andeutung gemacht. Wenn es also diese vermeintliche Vergewaltigung gegeben hat, woher wusste er es jetzt plötzlich?«
»Einer der drei hat ausgepackt?« Lyns Einwurf kam zögerlich.
»Wir dürfen uns vor allen Dingen nicht an diesem Szenario festbeißen«, sagte Volker Aschbach und stand auf. Langsam ging er um den Tisch und lehnte sich gegen die Fensterbank. »Es kann auch ein absolut anderes Motiv für die Morde vorliegen. Judith Schwedtkes Selbstmord muss damit gar nichts zu tun haben. Auch wenn die Puzzleteile, die wir haben«, er nickte Richtung Flipchart, »natürlich perfekt aneinanderpassen.«
»So perfekt finde ich das Szenario gar nicht«, sagte Hendrik. »Denn es gibt einen entscheidenden Grund, warum Werner Schwedtke nicht der schwarze Mann sein kann: Er kannte seine drei Mieter. Also hätte er bei der dritten Tat nicht auf Stefan Kummwehl geschossen. Denn er hätte gemerkt, dass er nicht Andreas Stobling vor sich hat.«
»Schade. Da hast du natürlich recht«, musste Lukas Salamand zugeben. »Das passt nicht zu meiner Theorie.«
Wilfried nickte seinem Hannoveraner Kollegen zu. »Und Sie haben recht damit, dass wir auch andere Motive in Erwägung ziehen müssen. Und darum werden wir uns heute in Wacken weiter umhören. Wer weiß, vielleicht sind die drei ganz woanders unangenehm aufgefallen. Wir sollten einige Wackener ausfindig machen, die von dem Festival nicht so begeistert sind wie der Rest. Negatives läuft bei diesen Leuten am ehesten auf. Und wir werden umgehend eine Fahndung nach Werner Schwedtkes Wohnmobil rausgeben. Ich will wissen, wo der ist.«
»Und vor allen Dingen müssen wir Andreas Stobling finden«, sagte Volker Aschbach. »Wir sollten mit der Festivalleitung reden und ihn auf dem Gelände ausrufen lassen.«
»Nein!« Der laute Ausruf kam von Lyn und ließ alle aufblicken.
»Überlegt doch mal!«, sagte sie. »Wenn der schwarze Mann wirklich statt Stefan Kummwehl Andreas Stobling töten wollte, dann weiß er jetzt Bescheid. Der Artikel über den Mord an Kummwehl stand heute in der Zeitung. Mit Bild und Namen. Der Killer weiß also, dass er den falschen Mann erwischt hat.«
»Ja, und?«, fragte Volker Aschbach.
»Wenn wir Andreas Stobling ausrufen lassen, kann es durchaus sein, dass wir damit auch den schwarzen Mann auf seine Spur bringen. Denn wer sagt uns, dass der nicht auch in Wacken ist? Schließlich ist die Verbindung zu Wacken augenscheinlich gegeben … Da laufen fünfundsiebzigtausend fremde Menschen herum. Einer von ihnen könnte es sein. Und wenn wir Andreas Stobling zur Bühne oder einem anderen Ort bitten, könnte der Täter genauso schnell da sein.«
Thilo Steenbuck lachte laut auf und klatschte beide Hände auf den Tisch. »Ausrufen! Ich bin jetzt über zwanzig Jahre auf Wacken. Aber ausgerufen wurde da noch keiner.« Er schüttelte den Kopf. »Wie soll denn das gehen? Dann doch einzig über die Bühnenlautsprecher, und das bedeutet, dass auf dem riesigen Zeltareal kein Schwein das hören würde.«
»Nun, eine solche Sachlage gibt es wohl auch nicht jedes Jahr«, kommentierte der Hannoveraner Kommissar Thilos Heiterkeitsausbruch. »Wir könnten auf jeden Fall während der Konzerte einen Aufruf an ihn starten. Nur seinen Namen und dass er bitte die Eins-Eins-Null anrufen soll … Ich weiß, dass er kein Handy hat«, schob er hinterher, als Lyn den Mund öffnete, »aber wenn er hört, dass er den Notruf wählen soll, wird er doch wohl jemanden finden, der ihm ein Handy leiht.«
»Oder er spricht einen der uniformierten Kollegen an, die dort patrouillieren«, sagte Wilfried.
»Und was machen wir bis Donnerstag?«, fragte Thilo. »Denn vorher ist nichts mit Konzert und
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