Tod in Wacken (German Edition)
Aber ich verspreche hoch und heilig, dass ich nie wieder so blauäugig versuche, zwei total besoffene Mädel auseinanderzubringen.«
»Und was machst du hier?«, giftete er Thomas an, während er vorsichtig Lyns Hand vom Gesicht zog, um sich die Wunde anzusehen. »Guckst zu, wie eine Kollegin zusammengeschlagen wird?«
Thomas Martens’ Gesicht verlor einen Teil der sommerlichen Bräune. »Spinnst du? Pass auf, was du sagst! Ich konnte –«
»Thomas konnte wirklich nichts dafür«, ergriff Lyn Partei für ihn, »er hat ja versucht, mich zurückzuhalten.«
»Das sehe ich.«
»Bevor du dich hier noch weiter auslässt, ohne die Zusammenhänge zu durchblicken, solltest du Lyn lieber ins Sani-Zelt bringen«, sagte Thomas Martens ernst, »denn sonst mache ich das.«
»Verdammt, hört jetzt auf!«, blaffte Lyn dazwischen. »Ich bin nicht von der Nord-Ostseebahn überrollt worden, sondern meine Lippe blutet. Ich gehe jetzt zu den Sanis und hol mir ein Pflaster. Und dann wird weiter gesucht.« Sie drehte sich um und stapfte los.
Hendrik verdrehte die Augen. »Falsche Richtung, Gwendolyn. Das Sani-Zelt steht auf der anderen Seite des Platzes.«
So hoheitsvoll wie möglich drehte Lyn sich um und marschierte an den Männern vorbei.
»Was wolltest du denn nun Wichtiges berichten?«, fragte sie Hendrik, während sie sich zu dritt ihren Weg durch die Menge bahnten.
»Es geht um die Tatwaffe«, sagte er mit gedämpfter Stimme. »Die Überprüfung der Hülsen durch das BKA hat eine hundertprozentige Übereinstimmung mit einer Waffe ergeben, mit der vor achtundzwanzig Jahren ein Hamburger Juwelier bei einem Überfall seines Geschäftes erschossen wurde. Die beiden Räuber wurden nie gefasst, und die Waffe ist seitdem nie wieder aufgetaucht.«
»Das ist in der Tat interessant«, sagte Lyn. Sie sprach vorsichtig, denn ihre Lippe fühlte sich inzwischen an, als sei sie auf das Doppelte angeschwollen. Außerdem brannte die Wunde höllisch. »Gibt es Videoaufzeichnungen aus dem Juweliergeschäft?«
Hendrik nickte. »Wilfried hat sie angefordert. Dann hat er noch die Mutter von Judith Schwedtke für morgen früh ins Präsidium bestellt.«
»Und ich werde morgen ein Gespräch mit Timo Grümpert führen, dem Freund von Judith Schwedtke«, sagte Lyn. »Ich habe auf dem Weg hierher mit seiner Mutter telefoniert, er selbst war nicht zu Hause. Der schwirrt hier auch irgendwo rum.«
»Da vorn ist das Sanitätszelt, Lyn«, sagte Thomas Martens. »Ich kann mich jetzt wohl als dein Begleiter verabschieden. Bis es dunkel wird, kann ich noch in einige hundert Gesichter blicken. Und du solltest nach deiner Verarztung nach Hause gehen.«
»Dafür werde ich schon sorgen. Tschüs, Thomas.« Hendrik drehte sich ohne ein weiteres Wort um und machte sich auf die Suche nach einem Ersthelfer.
»Entschuldige«, brabbelte Lyn, während sie versuchte, die vom Blut festgeklebte Serviette vorsichtig von der Lippe zu lösen, »manchmal ist er einfach ein Idiot.«
Thomas beugte seinen Kopf zu ihr. »Stimmt. Aber vor allem ist er ein riesengroßer Glückspilz.«
Sein Lächeln, gepaart mit einem Augenzwinkern, trieb Lyn die Röte in die Wangen. Sie blickte ihm nach, als er pfeifend seines Weges ging. Sein Shirt machte eindeutig breite Schultern. Als Hendrik seinen Arm um ihre Schulter legte, zuckte Lyn zusammen.
»Komm, der Arzt wartet auf dich.«
»Na, dann wollen wir uns die schlimme Lippe mal ansehen«, begrüßte der Mittvierziger im weißen Polo-Shirt sie.
»Die ›schlimme Lippe‹ hat bereits aufgehört zu bluten«, sagte Lyn leicht gereizt. »Sie tut nur weh.«
Der Arzt lächelte. »Wenigstens die Serviettenreste werde ich Ihnen entfernen. Setzen Sie sich kurz.« Er deutete auf einen Stuhl an der Zeltwand.
»Das ist ja riesig hier«, sagte Lyn, nachdem sie sich gesetzt hatte. »Aber bei diesem Massen-Headbanging gibt’s ja auch bestimmt jede Menge Wirbelschäden.«
Er lachte. »Klar müssen wir den ein oder anderen akuten Schiefhals ins Krankenhaus weiterleiten, aber das hält sich in Grenzen. Die allermeisten sind geübte Headbanger … Aus Ihrer Betonung schließe ich, dass Sie keiner sind?«
»Ich kann mich beherrschen.«
»Versuchen Sie’s ruhig mal. Es ist sehr befreiend, mal alles rauszulassen. Dazu ein paar martialische Schreie, so richtig aus den Tiefen des Bauches und der Brust. Stressabbau pur, sag ich Ihnen.«
Er nahm eine Pinzette zur Hand und begann vorsichtig, die Papierreste von ihrer Unterlippe zu lösen. »Es sind
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