Tod in Wacken (German Edition)
darin.«
Ohne dass Lyn sich dagegen wehren konnte, färbten sich ihre Wangen. Dieser Mann hatte eine Ausstrahlung, der sie sich nicht entziehen konnte. Jedes seiner Worte klang aufrichtig und … Lyn suchte nach einem passenden Wort für ihr Gefühl. »Väterlich« traf es vielleicht.
Sein Blick und seine Worte hatten etwas an sich, dass es gestattete, sich in seiner Nähe angenommen zu fühlen. Einzig seine körperliche Präsenz wirkte dem Gefühl des vollkommenen Wohlbefindens entgegen. Etwas Hartes lag in seiner Körperhaltung, und das kantige Gesicht mit dem Borstenhaarschnitt verleitete zu Assoziationen mit einem Soldaten.
Lyn räusperte sich. »Sie haben … Ihnen ist also tatsächlich ein Engel erschienen?«
»Ja, ich habe nie einen Hehl daraus gemacht. Im Gegenteil. Ich musste darüber sprechen. Es war …« Seine Augen füllten sich mit Tränen. »Es war so unglaublich … so unfassbar schön, dieses Erlebnis.« Er wischte sich die Träne, die seine Wange hinablief, ohne jede Spur von Verlegenheit mit dem Finger fort.
»Ich bin dafür belächelt worden. Und beschimpft. Und natürlich denken die meisten Menschen, dass ich verrückt bin. Dass ich ein Spinner bin. Meine beiden Ehen sind wohl ebenfalls aus diesem Grund in die Brüche gegangen. Aber ich weiß, was ich erlebt habe. Die unglaubliche, wahrhaftige, über alles Intellektuelle hinausgehende Kraft dieses Ereignisses bestimmt seitdem mein Leben. Und die Verpflichtung, die mit dieser Begegnung einhergeht, ebenso.«
Lyn konnte nicht den Blick von seinem Gesicht abwenden. Zweifellos meinte er, was er sagte. Seine Ergriffenheit war so echt wie die Sonne, die soeben durch die Wolken brach. »Die Verpflichtung, die Menschen zum Guten zu bekehren?«
Sein schlichtes »Ja« berührte Lyn erneut. Die Frage war nur: Wie weit würde er gehen, um die Menschen zum Guten zu bekehren?
Wäre der Tod eines »Bösen« für ihn Mittel zum Zweck?
Lyn ging zum Tisch zurück und griff nach Kuli und Papier. »Herr Beutler, wo waren Sie an den Abenden vom vierundzwanzigsten bis zum siebenundzwanzigsten Juli diesen Jahres zwischen jeweils neunzehn und einundzwanzig Uhr?« Sie lächelte. »Eine Routinefrage. Auch ich habe meine Verpflichtungen.«
* * *
»Schätzchen? Mach bitte auf.«
Timo gab ein Würgegeräusch von sich. Er hasste es, wenn seine Mutter ihn Schätzchen nannte. Er hatte es ihr tausendmal gesagt, und sie ignorierte es genauso häufig.
»Mama, lass mich in Ruhe. Ich … ich will schlafen.«
»Timo!« Die Stimme vor der Tür klang jetzt ungleich schärfer. »Mach die Tür auf! Ich will mit dir reden.«
»Oh, fuck !« Timo quälte sich aus seinem Bett, auf dem er Löcher in die Decke gestarrt hatte. Seine Mutter würde keine Ruhe geben.
»Was denn?«, fragte er, nachdem er die Tür aufgezogen hatte. Ohne seine Mutter anzusehen, schlurfte er zurück zum Bett und ließ sich darauffallen.
»Schätzchen, sag mir doch, was dich bedrückt. Seit diese Polizistin da war, gefällst du mir gar nicht. Ich sehe doch, dass es dir nicht gut geht.«
»Es ist nix, Mama. Echt nicht.« Er sah sie kurz an, bemüht um ein Lächeln.
»Lüg mich nicht an, Timo.« Sie musterte sein blasses Gesicht. »Ich mache mir doch nur Sorgen, Junge. Du verfällst wieder in diese Teilnahmslosigkeit. Genau wie nach Mirkos Tod. Und nach Judiths.« Sie setzte sich zu ihm auf die Bettkante und nahm seine Hand.
»Du hast deinen besten Freund durch diesen schrecklichen Unfall verloren. Und deine Freundin durch –« Sie brach ab. Das Wort Selbstmord bereitete ihr Angst, weil sie ihren Sohn so depressiv vor sich sah. Sie strich über seine Hand, die er ihr nicht entzogen hatte. »Das sind Geschehnisse, die man nicht so leicht wegsteckt, Schätzchen. Und jetzt hat diese Frau alles wieder aufgewühlt. Ich … ich möchte, dass du doch einmal zu einem Therapeuten gehst, Timo. Es gibt Dinge, die kann man nicht mit sich allein ausmachen. Man muss über sie reden.«
Wortlos schüttelte Timo den Kopf. Reden? Nein. Schweigen war besser.
Er entriss ihr seine Hand und sprang vom Bett auf. »Ich hab dir schon tausendmal gesagt, dass ich nicht zu so einem Psycho-Onkel gehe. Kapiert? Ich komm schon klar.«
Birthe Grümpert musterte sein aufgebrachtes Gesicht, seine geschwollenen roten Augen. »Wenn ich deine verweinten Augen so sehe, kann ich das nicht glauben, Timo … Du brauchst Hilfe.«
»Nein!«, fauchte er, und etwas ruhiger fuhr er fort: »Ich hab dir doch gesagt, was die Polizistin von
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