Tod in Wacken (German Edition)
die Leiber der Männer und Frauen um ihn herum, roch ihren Schweiß und ihre Parfüms und wusste nicht, was ihn mehr abstieß. Alkoholfahnen vermischten sich mit dem Geruch von Urin, als er an einer der Pissrinnen vorbeieilte. Stimmenfetzen und Gelächter, Gegröle und die nie enden wollenden Laute aus den Ghettoblastern verbanden sich mit dem Geräusch seines gehetzten Atems. Er flüchtete sich an den Metallzaun, der den Campingplatz von einer nicht für Besucher freigegebenen Straße abgrenzte. Mit dem Rücken lehnte er sich dagegen und pumpte Luft in seine Lungen. Langsam wurde er ruhiger, der stechende Kopfschmerz ging in ein dumpfes Pochen über. Die Karrees des Zaunes drangen durch den Stoff seines schwarzen Kapuzenpullovers. Er spürte, wie die Härte des Metalls seinen Rücken stärkte.
Nur fünf Minuten durchatmen, dann musste er zurück. Er konnte das Suchen nicht aufgeben. Nicht jetzt. Nicht seit der Lautsprecherdurchsage gestern Nacht. Ein Lächeln bildete sich auf seinen Lippen, als er in Gedanken den wundervollen Worten noch einmal nachspürte.
»Andreas Stobling! Andreas Stobling wird dringend gebeten, sich bei der Polizei zu melden.«
Er war hier! Und sie wussten Bescheid. Sie wollten Andreas Stobling, bevor er ihn bekam.
Das galt es zu verhindern. Er stieß sich von dem Zaun ab.
* * *
Lyn legte ihr Käsebrötchen zur Seite, als ihr Handy eine SMS ankündigte. »Von Krümel«, sagte sie zu Hendrik und las die Kurznachricht. »Sie fragt, ob wir am Sonntagnachmittag, wenn sie von ihrem Wochenendtrip zurück ist, in Wilster Eis essen gehen. Lisas Eltern setzen sie dann am Markt ab. Oder ob ich schooon wieder arbeiten muss.«
Lyn legte das Handy zurück auf den Schreibtisch und biss in die Brötchenhälfte. »Im Wacken-Fall kann passieren, was will«, nuschelte sie mit vollem Mund, »ich werde Sonntag nicht arbeiten, sondern Krümel diesen Wunsch auf jeden Fall erfüllen. In den letzten Tagen hatte ich so wenig Zeit für sie.«
»Das verlangt doch auch niemand«, sagte Hendrik, der vor ihrem Schreibtisch auf dem Besucherstuhl saß. Seine Beine ruhten auf Lyns Schreibtischkante, während er seine Schinkenstulle aß. »Du musst diesen Fall schließlich nicht allein lösen.«
»Ich weiß«, nickte Lyn, »aber gerade in diesem Fall hätte ich ein schlechtes Gewissen, wenn ich nicht tue, was ich kann. Egal ob Wochenende oder nicht. Hier geht es nicht nur um Tote, sondern um einen Menschen, der noch lebt und gerettet werden kann.« Sie stopfte sich den Brötchenrest in den Mund und leckte die einzelnen Finger ab. »Ich verstehe nicht, wieso er sich nicht meldet. Er muss die Durchsagen doch gehört haben.«
»Nicht unbedingt.« Hendrik schüttelte den Kopf. »Kein Mensch hört sich da alle Gruppen an. Es gibt weit über hundert Bands, die nicht nur auf den beiden großen Bühnen spielen, sondern noch auf vier oder fünf weiteren. Er kann während der Durchsagen auf dem Campingplatz, im Ort oder sonst wo gewesen sein. Beim Karaoke, beim Schlammcatchen, was weiß ich.«
»Du hast ja recht«, sagte Lyn. »Aber mir tut Cornelia Stobling leid. Sie war so verzweifelt. Ich wünschte, wir könnten sie aus dieser Situation erlösen.«
»Ach, gut!«, erklang Wilfried Knebels Stimme an der Tür. »Ich dachte schon, ich bin ganz allein hier. Die anderen essen heute wohl alle auswärts.«
»Gibt’s was Neues?«, fragte Hendrik. »Du siehst so zufrieden aus.«
»Allerdings«, gab der Hauptkommissar ihm recht. »Bei der Einsatzleitstelle ist gerade ein höchst merkwürdiger Anruf eingegangen. Es ging um die Tatwaffe im Wacken-Fall. Eine Frau, die anonym bleiben wollte, hat eine sehr interessante Aussage gemacht.«
»Na, da bin ich jetzt gespannt«, sagte Hendrik und nahm die Füße vom Tisch.
Wilfried hockte sich auf den frei gewordenen Schreibtischkantenplatz. »Sie behauptet, dass einer der beiden Juweliergeschäft-Räuber die Pistole vor über siebenundzwanzig Jahren einem Pastor übergeben hat. Sie hat keine Gründe genannt, aber den Namen der Kirche.«
»Was soll man davon halten?«, fragte Hendrik und blickte skeptisch von Lyn zu Wilfried.
»Das wissen wir, wenn ihr wieder hier seid«, sagte Wilfried. »Ich möchte, dass ihr nach Hamburg fahrt. Dort befindet sich die genannte Kirche.« Er schob einen Zettel mit der Adresse zu Lyn hinüber. »Findet heraus, ob an der Sache was dran ist. Pastoren sind da ja bekanntlich etwas eigen. Von wegen Schweigepflicht und so. Macht ihm klar, dass es hier um
Weitere Kostenlose Bücher