Tod in Wacken (German Edition)
und Gurke für ihn belegt hatte. Er kaute und schluckte, aber der Bissen wollte nicht sacken. Er nahm einen großen Schluck Orangensaft und versuchte es noch einmal. Seine Mutter aß ihr Käsebrötchen. Sie plapperte belangloses Zeug und tat, als sei alles normal.
Glaubte sie wirklich, er sähe ihre Seitenblicke nicht? Die besorgten Mutterblicke, weil das Kind wieder nicht essen mochte, genau wie nach dem Tod von Judith.
Er musste sich zwingen, einen weiteren Bissen zu nehmen.
»Es wäre schön, wenn du noch den Wochenendeinkauf für mich erledigen könntest, bevor du wieder auf dem Festivalgelände verschwindest. Ich hasse es, zwischen all diesen Menschen Schlange zu stehen.« Birthe Grümpert stand auf, riss einen Zettel von dem Block neben dem Toaster und begann, ihre Einkaufsliste zu schreiben.
»Mach ich jetzt gleich.« Timo war dankbar, den Frühstückstisch verlassen zu können. Er schob den Teller mit dem angebissenen Brötchen zur Seite. Eigentlich war Einkaufen scheiße, aber jetzt war er froh, etwas tun zu können. Egal was.
* * *
Er hielt dem Ordner am Eingang seinen Arm mit dem Eintrittsbändchen hin. Nach einem aufmerksamen Blick auf das Handgelenk winkte der ihn durch.
Ein neuer Tag. Der letzte Tag im »Holy Wacken Land«. Seine Lippen kräuselten sich. Heute Abend war das letzte Konzert. Morgen begann die Abreise.
Der letzte Tag, um ihn zu finden.
Er gähnte, müde des Suchens.
War es nicht eigentlich egal, wo er ihn fand? Es musste nicht hier sein. Es war nur wichtig, dass er ihn fand. Andreas Stobling würde spätestens morgen dahin zurückkehren, wo auch immer er wohnte. Und das sollte in Erfahrung zu bringen sein. Irgendwie.
Sein Tod war nur eine Frage der Zeit.
Er gähnte noch einmal. Schlaf. Wie er sich danach sehnte. Er drehte um und verließ das Gelände, das er gerade erst betreten hatte. Es musste reichen, wenn er am Nachmittag wieder hier war.
* * *
Timo befestigte vor dem Lebensmittelmarkt in der Hauptstraße den Sechserpack Mineralwasser auf dem Gepäckträger. Am Lenker baumelte eine gefüllte Leinentasche. Die restlichen Lebensmittel hatte er in seinem Rucksack verstaut.
Er schob das Fahrrad den Fußweg entlang, langsam, mit einer Hand die Wasserflaschen zusätzlich zum Gummigurt sichernd. Der Bürgersteig war dicht bevölkert. Ein Trio schwarzhaariger Mädchen – allesamt in knappen Jeansshorts – kicherte, als er an ihnen vorbeischob. Eine rief ihm etwas zu, das er nicht verstand. Die anderen beiden lachten. Italienerinnen, mutmaßte er anhand des Sprachtempos. Er drehte sich noch einmal um. Die, die gesprochen hatte, blinzelte ihm zu, und ihre tomatenrot geschminkten Lippen formten einen Kussmund.
Als er sich unbeeindruckt wieder umwandte, spie der Tomatenmund hinter ihm einen Schwall Worte aus. Ihre fauchende Stimme machte dabei eine Übersetzung überflüssig.
Er schob weiter, vorbei an Alis Bistro und dem Bestattungsinstitut. Die Leute, die ihm schwatzend und lachend entgegenkamen, machten Platz für ihn. Nur einer nicht.
Timo registrierte es selbst erst, als er dem Mann quasi sein Rad in den Bauch rammte. Er starrte sein Gegenüber an, das nicht einmal mit der Wimper zuckte, kein Schmerzempfinden zu haben schien.
»Entschuldi–« Timo brach ab. Er kannte diesen Mann. Aber nicht so, wie er jetzt aussah. Verdreckt, verwirrt, nicht von dieser Welt.
Der Mann machte einen Schritt zur Seite, wollte weitergehen, blieb dann aber abrupt stehen. Er starrte Timo an. Der Blick schien aus der anderen Welt zurückzukehren, herbeigerufen durch eine Erinnerung.
»Herr … Herr Schwedtke?« Timo zog sein Fahrrad zurück, aber der Mann griff in den Lenker und riss daran, ohne ein Wort zu sagen.
»Äh … lassen Sie bitte los. Ich muss nach Hause.« Unbehagen überfiel Timo wie eine Flutwelle. Was war mit Judiths Vater los?
»Du! Du … ich kenn dich …«
Timo packte das Lenkrad fester, als Werner Schwedtke ihn mit zusammengekniffenen Augen und offenem Mund anstierte.
»Du bist Timo. Ja, das bist du.« Mit einem irren Auflachen hüpfte Werner Schwedtke zur Seite, packte Timos Arm und zerrte mit einer Kraft an ihm, dass Timo das Fahrrad loslassen musste. Mit einem dumpfen Knacken zerbrachen zwei Gemüsegläser im Leinenbeutel auf dem Bürgersteig, während Timo ins Stolpern geriet, weil Werner Schwedtke ihn mit sich riss. Timo fiel auf die Knie, wobei es ihm endlich gelang, sich aus dem Panzergriff des Mannes zu lösen.
»Lassen Sie mich! Was … was wollen Sie
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