Tod in Wacken (German Edition)
Schnarchen der Frau neben sich. Es war ein kontinuierlicher tiefer Brummton, so wie ihn exzessiver Alkoholgenuss zustande brachte. Er wandte ihr seinen Kopf zu und wünschte sich im gleichen Moment, er hätte die Drehung langsamer vollzogen. Ein eiserner Tennisball schmetterte in seinem Kopf von einer Schläfe zur anderen, änderte seine Bahn und prallte von der Stirn zur Schädeldecke. Mit einem Schmerzlaut kniff er die Augen zusammen.
Als er sie wieder öffnete, fiel sein Blick erneut auf die Frau. Jules Freundin Tina. Ein dünner Faden Speichel rann aus ihrem Mundwinkel, während sie weitersägte. Wie es schien, war sie gestern Abend also genauso besoffen gewesen wie er. Denn sonst hätte sie ihn kaum hier geduldet, sondern sofort rausgeschmissen. Er konnte sich nicht erinnern, dass sie ins Zelt gekrochen war. Jule und er mussten schon tief geschlafen haben.
Er befeuchtete seine Lippen mit der pelzigen Zunge. Ekelhafter Geschmack hatte sich in seiner Mundhöhle eingenistet.
Er drehte den Kopf um hundertachtzig Grad – diesmal langsam – und sah Jule an. Sie lag auf der Seite, ihr Gesicht ihm zugewandt, und schlief. Ihre Nase berührte fast seine Schulter. Einzelne Strähnen ihres verwuschelten Haars klebten an der Stirn.
Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass auch sein Haar im Nacken klebte. Es war stinkeheiß im Zelt. Die Sonne musste schon ziemlich hoch stehen. Jules Schlafsack war wie eine Decke über seine und ihre Beine gelegt. Er schüttelte ihn ab und richtete sich auf. Der eiserne Ball übernahm wieder die Kontrolle über seinen Kopf.
Scheiße, warum musste er auch so viel saufen? Während das Pochen in seinem Schädel langsam nachließ, kam die Erinnerung, die Erklärung des Warum.
Tommy!
Gleichzeitig mit der Erkenntnis, dass er seinen Kumpel niemals wiedersehen würde, war rasende Übelkeit Vorbote seines in die verkehrte Richtung strebenden Mageninhalts. Er schaffte es gerade noch, den Verschluss des Zeltes aufzureißen, und erbrach sich direkt vor dem Eingang.
»Boah, Alter, geht’s noch?« Jules Freundin war aus ihrem komatösen Schlaf erwacht und rammte ihm ihren Fuß in die Seite. »Die Sauerei machst du da sofort weg! Kapiert? Ey, Jule! Dein Typ kotzt uns gerade vor die Bude.«
Andreas krabbelte aus dem Zelt, sein Knie landete in dem Erbrochenen, als sich ein zweiter Schwall Saures aus seinem Mund ergoss. Mit einem Stöhnen kippte er danach einfach zur Seite und blieb auf dem Rücken liegen.
»Hier, Alter! Das beruhigt den Magen.« Einer der Jungs vom Zelt gegenüber stand grinsend vor ihm, bückte sich und legte ihm eine Dose Bier auf den Bauch.
»Zisch ab und sauf die selbst aus.« Jule war aus dem Zelt gekrabbelt. Sie sah den Jungen nicht an, sondern kniete sich neben Andreas auf den durchmatschten Boden und warf die Dose zur Seite. »Alles klar?« Sie strich ihm eine verschwitzte Strähne aus der Stirn.
Er wischte sich mit der Handfläche über die Lippen und das klebrige Kinn und sah sie an. »Ich bin richtig eklig, was?«
Sie strich zart über seine Wange. »Nicht eklig. Aber ziemlich fertig. Geh duschen, Andy, und werd klar im Kopf.«
Er brauchte fast eine Stunde, bis er unter der Dusche stand. Auf dem Weg zum Zelt der Engländer, wo er erst jetzt seinen Rucksack mit dem Duschzeug und frische Wäsche holte, hatte er sich noch einmal übergeben müssen.
Als er den Duschraum verließ, fühlte er sich um Welten besser. Duschgel und ein sauberes Shirt mit dem Duft von Connys Waschpulver hatten den Gestank von Schweiß und Kotze ausgemerzt. Auch der Kopfschmerz war nach drei Aspirin von Jule auf ein erträgliches Maß zurückgegangen.
Jule hatte gesagt, er solle nach dem Duschen zu ihrem Zelt zurückkommen, aber er hatte keinen Bock auf das Gemotze ihrer Freundin. Stattdessen holte er sich im Frühstückszelt einen Becher Kaffee und setzte sich auf eine der hölzernen Bänke.
Gestern Abend war er nach Maltes Nachricht über den Mord an Tommy einfach nur geschockt gewesen, hatte sich besoffen und mit Malte Hunderte Foltermethoden für den Mörder entwickelt. Jetzt, mit ein bisschen Abstand und einem klaren, wenn auch schmerzenden Kopf, war ihm nicht mehr nach Hand- und Fußnägelausreißen oder Schwanzabhacken. Eine andere Frage trat in den Vordergrund.
Warum hatte Tommy sterben müssen?
Sein Magen rebellierte, als er langsam seinen Kaffee trank. Angewidert schob er den Becher von sich.
Und wer mochten die anderen beiden Opfer sein, von denen Malte gesprochen hatte? Die Männer,
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