Tod in Wolfsburg (German Edition)
zwei, denn warum sollte jemand mit sich selbst flüstern? So ein
Quatsch.
Sie zog die Bettdecke bis über die Nasenspitze. So bekam sie noch
schlechter Luft, aber das spielte eigentlich keine große Rolle. Nicht für sie.
Aus einer Erkältung konnte leicht eine Bronchitis werden oder eine
Lungenentzündung. Damit war nicht zu spaßen. Manchmal musste man sogar ins
Krankenhaus.
Sie wartete auf das nächste Klack, aber es blieb still, auch das
Wispern war verschwunden, als wäre es nie da gewesen. Aber Betty wusste es besser.
Um drei Uhr zwölf stand sie auf und öffnete das Fenster. Außer dem Dröhnen in
ihrem Kopf war nichts Ungewöhnliches zu hören. In der Ferne fuhr ein Auto an,
irgendwo bellte ein Hund, der Wind rüttelte an den Bäumen. Sie zog die
Schlafanzugjacke aus und legte sich mit nacktem Oberkörper zurück ins Bett. Sie
betete, dass sie krank werden würde. Richtig krank.
13
Die Schulsekretärin hieß Karola Mohnhaupt, hatte einen
verkniffenen Mund und schlechte Laune. Das wurde Johanna schon beim Betreten
des Sekretariats klar, und einen Moment lang bereute sie es, Sofia Beran nicht
gleich mitgenommen zu haben. Die junge Polizistin hatte etwas wohltuend
Ausgleichendes, was ihr selbst selten nachgesagt wurde. Eher gar nicht.
Mohnhaupt musterte Johanna mit unverhohlen skeptischem Blick, nachdem die ihr
klarzumachen versucht hatte, wie wichtig eine Auskunft über Schülerinnen und
Schüler war, die in den letzten ein bis zwei Jahren die Schule gewechselt
hatten – womöglich überraschend oder mit wenig überzeugend klingenden Argumenten.
»Aber das fällt unter das Datenschutzgesetz!«, wandte sie ein und
strich kurz mit dem Zeigefinger über ihre Schläfe. »Ich kann doch nicht einfach
so derart persönliche Informationen herausgeben.« Sie rückte ihre schwarz
umrandete Brille zurecht und runzelte bemerkenswert buschige Augenbrauen.
»Das ist mir vollkommen klar«, stimmte Johanna zu. »Von ›einfach so‹
ist hier auch gar nicht die Rede. Es geht um eine polizeiliche Ermittlung.«
»Aber ich denke, der Fall ist längst abgeschlossen.«
»Offensichtlich nicht. Sonst stünde ich jetzt kaum hier und würde
Sie nerven.«
Mohnhaupt nickte zögernd. Überzeugt war sie nicht. »Wir sind eine
ganz normale Schule – Schüler kommen und gehen, mal gibt es mehr Ärger, mal
weniger …«
»… und manchmal muss man einen zweiten Blick auf etwas werfen, um
die feinen Unterschiede erkennen zu können«, unterbrach Johanna das
Lamentieren.
»Kann sein, aber der Rektor ist nicht da. Ich kann nicht einfach …«
»Doch – Sie können!« Johanna knirschte mit den Zähnen. »Oder
erwarten Sie tatsächlich, dass ich mir wegen einer Auskunft einen richterlichen
Beschluss hole? Falls ja, stehen in einer halben Stunde fünf Beamte auf der
Matte und packen alle Akten ein, derer sie habhaft werden können. Wäre das eher
in Ihrem Interesse?«
Mohnhaupt erschrak weniger, als Johanna gehofft hatte, aber immerhin
wurde ihr Blick deutlich zugänglicher. »Na schön, ich habe hier aber nur
Zugriff auf die Daten der Real-und Hauptschüler.«
Mit diesen Worten drehte die Sekretärin sich zu einem deckenhohen
Regal um. Nach kurzem, prüfendem Blick zog sie einen Ordner mit der Aufschrift
»Statistiken« heraus, wuchtete ihn auf ihren Schreibtisch und öffnete ihn mit
gewichtiger Miene.
»Schulwechsel und -abbruch«, murmelte sie und blätterte einige
Seiten durch. Schließlich entnahm sie dem Ordner vier Blätter und ging zu
Johanna.
»Tatsächlich«, sagte sie und sah kurz hoch. Ein leiser respektvoller
Ton schlich sich in ihre Stimme. »Letztes und vorletztes Jahr haben
überdurchschnittlich viele Schüler Kreuzheide vor dem Abschluss verlassen, um
an einer anderen Schule hier in Wolfsburg weiterzumachen. Das kommt zwar hin
und wieder vor, aber …«
»Wie viele Schüler?«, fragte Johanna.
»Fünf. Allerdings …«
»Ich brauche die Adressen.«
»Aber …«
»Jetzt!«
Mohnhaupt kniff die Lippen zusammen, nickte aber schließlich.
»Und dann melden Sie mich bitte bei Ihrer Kollegin vom Gymnasium an.
Dort möchte ich in ungefähr fünf Minuten exakt die gleiche Auskunft. Danke.«
Mohnhaupt öffnete den Mund – und schloss ihn wieder. Sie stolzierte
zu ihrem Kopiergerät, rückte erneut die Brille zurecht, und eine Minute später
steckte Johanna die Liste mit den Adressen ein und trat auf den Pausenhof,
während Mohnhaupt sie im Sekretariat des Gymnasiums bei Regina Klar ankündigte.
Dort wurde sie kurz
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