Tod in Wolfsburg (German Edition)
darauf von einer überaus charmanten jungen Frau mit kurzer
Stoppelhaarfrisur und breitem Lächeln empfangen.
»Hallo, Frau Kommissarin.«
Johanna lächelte zurück. »Ist mir mein Ruf vorausgeeilt?«
»Könnte man so formulieren.«
»Und – was sagt Ihre Statistik zu Schulwechslern?«
»Nichts Ungewöhnliches – auf den ersten Blick«, erklärte Regina Klar
ohne Umschweife und tippte auf einen vor ihr liegenden Ordner. »Aber ich
erinnere mich spontan an eine Schülerin, bei der ich seinerzeit, na, sagen wir:
irritiert war. Angeblich wollten die Eltern nach Helmstedt umziehen, doch ein
paar Wochen später bekam ich zufällig mit, dass die Familie in
Wolfsburg-Reislingen gebaut hatte – eine Freundin von mir lebt auch in dem
Neubaugebiet. Der Schulwechsel war zumindest aus örtlicher Sicht nicht besonders
sinnvoll, und ich war mir auch ziemlich sicher, dass ich mich nicht verhört
hatte und von Helmstedt die Rede gewesen war, aber zu dem Zeitpunkt habe ich
nicht weiter darüber nachgedacht. Erst eben …«
»Wann war das?«
»Vor einem halben Jahr.« Regina Klar reichte Johanna einen
handgeschriebenen Zettel. »Marie Clemens, vierzehn Jahre. Ein sehr nettes
Mädchen.«
»In welcher Klasse war sie?«
»In der 9 A von Frau Bär. Es ist gleich große Pause. Möchten
Sie vielleicht …?«
»Unbedingt.«
Annegret Bär trug den unpassendsten Namen, den Johanna sich
vorstellen konnte. Die junge Lehrerin hatte die filigrane Figur und
Ausstrahlung einer Tänzerin, rotes Haar und Sommersprossen und war zur
Hofaufsicht eingeteilt. Die meisten Zwölfjährigen waren kräftiger als Bär und
würden sie wahrscheinlich einfach über den Haufen rennen, befürchtete Johanna,
als sie gemeinsam über den Schulhof spazierten und sie der Lehrerin kurz den
Sachverhalt erörterte.
»Ist Ihnen in den Monaten vor dem Schulwechsel etwas Besonderes an
Marie aufgefallen?«, fragte Johanna schließlich. »Etwas, was Sie stutzen lässt,
vielleicht auch erst jetzt im Nachhinein.«
»Marie hatte leistungsmäßig deutlich nachgelassen«, erwiderte Bär
und schlug den Kragen ihrer Jacke hoch, um dem nasskalten Wind zu trotzen.
»Haben Sie dafür einen Grund erkennen können?«
»Ach, wissen Sie, das ist eine Klassenstufe, ein Alter, in dem es zu
beeindruckenden Schwankungen und auch Persönlichkeitsveränderungen kommen kann
– die Pubertät hat die Jugendlichen voll in ihren Klauen, wenn ich es mal so
ausdrücken darf. Da ist alles möglich. Allerdings … Marie sah manchmal ziemlich
mitgenommen aus.«
»Haben Sie mal versucht, mit ihr ins Gespräch zu kommen?«
Bär verlangsamte ihren Schritt. »Ja, auf einer Klassenfeier habe ich
sie gefragt, ob alles in Ordnung sei. Sie hat merkwürdig reagiert, wenn ich mir
die Situation genauer in Erinnerung rufe. Sie hat mich einfach nur wortlos
angelächelt.«
»Könnten Drogen im Spiel gewesen sein?«
Bär blieb stehen. »Das hätte ich seinerzeit vehement verneint, aber
… nach dem, was man so hört … Ich würde meine Hand nicht mehr dafür ins Feuer
legen, obwohl Marie zu den Mädchen gehört, bei denen allein die Frage absurd
scheint.«
»Typ artiges, fleißiges, nettes Mädchen?«
»Ja, genau. Zuverlässig, ehrlich, gradlinig.« Die Lehrerin sah
Johanna direkt ins Gesicht. »Was vermuten Sie eigentlich genau?«
»Ich könnte mir vorstellen, dass Marie unter erheblichem Druck
gestanden hat, und ich will wissen, wer dafür wie und warum verantwortlich
ist.«
»Mobbing?«
Johanna hob kurz die Hände. »Unter Umständen, aber Genaueres kann
ich im Moment noch nicht sagen. Bitte haben Sie Verständnis dafür.« Die
Kommissarin zog eine Visitenkarte aus der Innentasche ihrer Lederjacke. »Würden
Sie mich bitte anrufen, wenn Ihnen noch etwas einfällt?«
Bär nickte und zog ihre winzige Nase kraus. »Natürlich.«
Der Gong unterbrach das Gespräch. Annegret Bär tänzelte von dannen,
und Johanna ging nach kurzem Überlegen noch mal zurück ins Sekretariat der
Realschule, um sich zu erkundigen, in welchem Raum Rabea Solga zurzeit
Unterricht hatte. Rabeas Klasse befand sich in der Sporthalle, wie Mohnhaupt
ihr erfreulich zügig mitteilte. Johanna dankte ihr mit breitem Lächeln. Ihr
Handy klingelte, als sie gerade überlegte, ob es sinnvoll war, mit großer Geste
in den Sportunterricht zu platzen. Sofia Beran hatte Neuigkeiten für sie.
»Ich habe mit unserem Drogenspezialisten gesprochen«, erklärte sie,
und wenn Johanna nicht alles täuschte, schwang eine kräftige Portion
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