Tod ist nur ein Wort
Niemand will dir mehr weh tun. Und das Sicherheitssystem ist ziemlich gut. Nur eben nicht gut genug.” Er musterte sie von oben bis unten, und ein kaum wahrnehmbares Lächeln umspielte seinen Mund. “Du siehst gut aus.”
“Muss das jetzt sein? Du hast, was du wolltest. Warum fährst du nicht zum Flughafen, fliegst zurück nach Frankreich und wir vergessen, dass wir einander begegnet sind.”
“Das würde ich gern”, entgegnete er mit der ihm eigenen uncharmanten Sachlichkeit, “doch es gibt leider ein kleines Problem.”
“Was für ein Problem?”, fragte sie. Sie sollte sich hinsetzen. Die Stunden in dem heißen Wasser, dann die eisige Frühlingsluft am offenen Fenster und dazu der Schock, Bastien zu sehen – all dies hatte sie benommen gemacht. Vielleicht verschwand er, wenn sie blinzelte.
“Ich will nicht blinzeln”, sagte sie laut und mit eigentümlicher Stimme. Bastien sah ebenfalls seltsam aus – hübscher, als sie ihn in Erinnerung hatte, was wirklich ungerecht war, und das hätte sie auch gesagt, wenn sie noch in der Lage gewesen wäre zu sprechen.
“Dann blinzele nicht,
chérie”
, murmelte Bastien. “Schließ einfach die Augen.” Und schon hüllte die Dunkelheit sie ein.
Er fing sie auf, als sie zusammensackte. Er hatte sie angelogen, was ja nichts Neues war. Sie sah ganz und gar nicht gut aus. Sie hatte abgenommen, und die Schatten unter ihren Augen ließen vermuten, dass sie zu wenig schlief. Das sollte ihn nicht überraschen, doch er hatte gehofft, dass es anders wäre. Hatte gehofft, eine gesunde lebhafte Amerikanerin vorzufinden, die sich auf ihn stürzte und ihm den Kopf abriss. Sie hatte Zeit gehabt, sich zu erholen, die Dinge hinter sich zu lassen.
Doch es war ihr nicht gelungen.
Er trug sie ins Wohnzimmer. Bevor er sie aufs Sofa bettete, musste er die Bücher und Zeitschriften darauf zur Seite räumen. Wahrscheinlich hatte er ihr zu viel gegeben – er hatte die Menge des Sedativums in ihrem Kaffee nach ihrem Gewicht in Paris bemessen, und sie hatte seitdem mindestens fünf Kilo verloren.
Aber dann wäre sie umso länger ruhiggestellt. Vielleicht sogar lange genug, um das Problem zu lösen und sich aus dem Staub zu machen, ohne dass sie erfuhr, wie knapp sie der Katastrophe entronnen war. Sie brauchte nicht zu wissen, dass jemand das Massaker im Hotel Denis überlebt hatte. Und dass dieser Jemand alles daransetzte, an Chloe heranzukommen.
Ihr Schreck und ihr Entsetzen bei seinem Anblick waren nicht zu missdeuten gewesen, und er konnte ihr deswegen keinen Vorwurf machen. Sie hatte sich darauf verlassen, dass er für immer aus ihrem Leben verschwunden war, und sein Auftauchen musste wie ein Albtraum für sie sein. Glücklicherweise hatte er die Ausrede mit dem Collier parat, die sie ihm tatsächlich abgenommen hatte. Vielleicht hielt sein Glück auch weiter an, wie es das schon so oft getan hatte.
Er hatte gehofft, dass sie das Collier behielt. Es war seit vielen Jahren in seinem Besitz gewesen – der erste Schritt auf seinem selbst gewählten Weg zur Hölle. Er war zwölf Jahre alt gewesen, alt und auch groß genug, um seiner Mutter und Tante Cecile, die sich gern mindestens zehn Jahre jünger ausgaben, peinlich zu werden. Sie waren in Monte Carlo gewesen und hatten eine Pechsträhne gehabt. Seine Mutter musste ihr Diamantcollier verkaufen. Sie war so außer sich gewesen, wie Bastien sie noch nie erlebt hatte, und in seinem kindlichen Gemüt hatte er beschlossen, etwas zu unternehmen. Er konnte ihr eigenes Collier nicht zurückholen, doch er konnte es durch ein anderes ersetzen.
Es war leicht genug gewesen – niemand verdächtigt ein Kind, nicht einmal einen größeren schlaksigen Jungen. Außerdem war er flink wie ein Affe und völlig ohne Angst. Die Frau, der das Collier gehörte, war so alt und so fett, dass die Falten ihres Halses es verbargen. Seine schöne Mutter verdiente es weitaus mehr.
Sie lag im Bett, als er in die Suite kam. Er wartete, bis ihr damaliger Liebhaber sie verließ, ein Weinimporteur mittleren Alters, von dem er hoffte, dass er nicht ihr nächster Ehemann wurde. Dann schlich er sich auf Zehenspitzen hinein.
Die geschlossenen Vorhänge dämpften das grelle Tageslicht, und im Raum roch es nach Zigaretten und Parfum und Whisky. Und nach Sex. Sie war weggetreten. Ihr sorgfältig gefärbtes blondes Haar fiel über ihren schmalen Rücken, und er wisperte: “
Maman?”
Sie rührte sich nicht. Er versuchte es noch einmal, doch sie gab nur einen
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