Tod oder Reben: Ein Wein-Krimi aus Südtirol (German Edition)
autoritären Vater hatte, welche Seelenqualen sie oft erdulden musste. Theresa habe sie häufig zu sich nach Meran eingeladen, um sie abzulenken und ihr wieder Lebensmut zu schenken. Ihrem Vater sei es egal gewesen, er habe sie nicht vermisst. Daraus habe sich eine innige Freundschaft entwickelt, das Alter spiele da keine Rolle.
«Warum hat Theresa mich ausgerechnet bei Ihnen einquartiert?», fragte Emilio.
«Das möchte ich auch gerne wissen.»
Emilio grinste frech.
«Nein», sagte Phina, «deshalb bestimmt nicht.»
Er wolle noch einmal auf Niki zu sprechen kommen, sagte Emilio nach einer kleinen Pause, wobei er hoffte, dass sie diesmal nicht einfach aufstehen würde. Was sei das für ein Mensch gewesen, fragte er. Mochte sie ihn? Wo hatte er plötzlich das viele Geld her? Warum wollte er unbedingt ein Weingut kaufen?
«Ganz schön viele Fragen auf einmal», antwortete Phina, «ich will versuchen, sie zu beantworten, schließlich sind Sie wegen Niki hier.»
Sie bestellte zum Dessert ein Zitronenparfait mit Haselnusskrokant. Emilio hatte längst auf flüssige Kalorien umgestellt und sich für einen Rosenmuskateller von Elena Walch entschieden.
«Ich mach’s kurz.» Sie hob den Zeigefinger in die Höhe. «Erstens war mir sein plötzlicher Wohlstand selber schleierhaft. Seine Vinothek in Bozen lief nicht schlecht, aber so gut nun auch wieder nicht.»
Zum Zeigefinger der Mittelfinger. «Zweitens wäre er nie ein guter Weinbauer geworden. Niki war viel zu oberflächlich, und er wollte sich die Hände nicht schmutzig machen. Bei euch sagt man: ein feiner Pinkel. Das mit dem Weingut war eine fixe Idee, weil das toll fürs Image ist. Damit kann man renommieren.»
Jetzt der Ringfinger. «Drittens, ob ich Niki gemocht habe? Theresa, bitte weghören. Niki war ein Orschkopf.»
«Wie bitte?»
«Ein Orschkopf? Das ist Südtirolerisch für Arschloch!»
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20
Ernst Steixner verspürte einen Würgereiz. Und ihm war schlecht. Er fürchtete, dass er gleich auf den Terracottaboden kotzen musste. Vor einer halben Stunde hatte er die Post aus seinem Briefkasten geholt. Er tat dies nur alle paar Tage. Es gab in seinem Leben nichts mehr, was besondere Eile erforderte. Also hatte er noch eine Tasse Tee getrunken, dann erst im Stapel diesen merkwürdigen Umschlag entdeckt, der keinen Absender trug. Sofort hatte er an die zurückliegende Versammlung der Amici del Vino denken müssen, an die Erpresserbriefe, die Falko Puttmenger und Armin Rottenthaler erhalten hatten. Sekunden später hatte er Gewissheit. Auch ihn hatte die Vergangenheit eingeholt. Er krümmte sich zusammen, langte sich an den Hals und übergab sich.
Jetzt saß er mit geschlossenen Augen in einem alten Lehnstuhl. Vor ihm auf dem Tisch lagen die Unterlagen, die sich im Umschlag befunden hatten. Kopien von Zeitungsausschnitten, die von einem tragischen Verkehrsunfall berichteten, bei dem ein zwölfjähriges Mädchen den Tod gefunden hatte. Der Autolenker hatte Fahrerflucht begangen. Nein, nicht gestern, nicht letzte Woche, auch nicht im letzten Monat. Fast fünfzehn Jahre datierten die Meldungen zurück. Im Umschlag hatten sich zudem Fotos befunden, die einen verbeulten Kotflügel eines Sportwagens zeigten. Wenn man genau hinsah, hätte man auf dem Blech Blutspuren entdecken können, unter dem Mikroskop vielleicht auch Haare, aber Steixner hatte nur einen schnellen, panischen Blick auf die Fotos geworfen. Mehr musste nicht sein. Auf einem beigefügten Blatt waren stichwortartig einige Angaben zur Unglücksfahrt aufgelistet, außerdem die Adresse der Werkstatt im fernen Bologna, wo der Wagen später repariert worden war. Auch fand der Name des Mannes Erwähnung, der damals als Beifahrer dabei gewesen war: Niki Steirowitz! Von ihm gab es zudem eine handschriftliche Notiz, in der er eine Zeugenaussage machte. Dann gab es ein weiteres Blatt: Auf dem stand eine Zahl mit vielen Nullen. Die Summe sollte er zahlen, damit das Belastungsmaterial nicht der Polizei übergeben würde. Auch war genau geregelt, wann, wo und wie die Übergabe des Schweigegeldes erfolgen sollte. Ernst Steixner hatte die Zeilen nur überflogen. Sie interessierten ihn nicht, es würde nicht dazu kommen.
Er legte wie in letzter Zeit so oft die Nocturnes von Chopin auf. Er holte aus seinem Klimaschrank den besten und teuersten Rotwein, den er hatte, entkorkte und dekantierte ihn. Er goss ein wenig in ein Glas, ließ den Wein kreisen, schnupperte – nahm einen Schluck, trank
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