Tod oder Reben: Ein Wein-Krimi aus Südtirol (German Edition)
überzeugter Traditionalist, der mit chemischen Pflanzenschutzmitteln, Herbiziden und Kunstdünger arbeitete. Das lehne ich alles ab.»
«Und das geht?»
«Na klar. Sieht man doch zum Beispiel beim Lageder, beim Weingut Manincor in Kaltern oder bei mir. Die Umstellung dauert nur etwas. Immerhin muss sich das gesamte Ökosystem im Weinberg erst regenerieren, die Rebstöcke werden widerstandsfähiger und entwickeln unglaubliche Selbstheilungskräfte. Das ist der Wahnsinn, man muss es selbst erlebt haben. Das macht zwar viel Arbeit, aber ist es wert. Meine Weine entwickeln sich im Einklang mit der Natur», sagte Phina, «sie sind glücklich und haben Charakter. Mein Gewürztraminer, den wir gerade im Glas hatten, war doch der beste Beweis dafür, oder?»
Emilio schnalzte mit der Zunge. «Ja, das war ein guter Botschafter, keine Frage. Aber all die anderen Winzer und Kellereibetriebe in Südtirol haben auch ihre Daseinsberechtigung», schränkte er ein.
«Natürlich», gab Phina zu, «jeder muss wissen, was er tut und wie weit er geht. Der verantwortliche Umgang mit den natürlichen Ressourcen wird heute in Südtirol von vielen umweltbewussten Winzern und genossenschaftlichen Kellereibetrieben ernst genommen. Das freut mich. Das biodynamische Konzept geht einen Schritt weiter, zugegeben, es ist ein bisschen speziell, mit Steiner kann nicht jeder was anfangen, außerdem muss alles zusammenpassen: Man kann keinen biodynamischen Wein machen und dabei selber als Ökoschwein leben.»
«Kann man schon, aber es ist unglaubwürdig.»
«Genau. Bei meinem Vater wäre das nie etwas geworden. Er war im Herzen ein Jäger. Die legen das Gewehr an und schießen das Wild über den Haufen. Peng, tot! Und genau so hat er seinen Wein gemacht. Ein Schädling im Weinberg? Spritzen, peng, tot!»
Emilio kostete den Chardonnay Löwengang von Lageder und dachte nach. Phina, die sich bei den letzten Sätzen etwas ereifert hatte, beruhigte sich bei einem Safranrisotto mit kleinem Lammossobuco.
«Darf ich eine hypothetische Frage stellen?», sagte er.
«Nur zu!»
«Wenn Ihr Vater noch leben würde, wären Sie nicht hier, richtig?»
«Nein, dann wäre ich auf und davon. Er hat mich nicht ernst genommen. Schon deshalb, weil ich kein Junge war.»
Emilio vertrat die Auffassung, dass man nicht immer um den heißen Brei herumreden sollte. Mit Mut zum Risiko traf er die nächste Aussage: «Dann hat der tödliche Unfall Ihres Vaters, bei aller Tragik, Ihrem Leben eine positive Wendung gegeben.»
Zu seiner Überraschung blieb Phina ganz ruhig. Sie sah ihn nachdenklich an. «Ein Außenstehender könnte das glauben, aber es stimmt nicht. Obwohl wir oft Streit hatten, vermisse ich ihn sehr, er war immerhin mein Vater.»
«Das Leben ist wie ein Labyrinth», sagte Emilio nachdenklich, «es ist unübersichtlich, verwirrend, mit vielen Wendungen und auch Sackgassen, aber am Schluss findet jeder einen Ausgang. Und manchmal eröffnen sich danach für die Zurückgebliebenen neue Perspektiven.»
«Sie haben ja eine philosophische Ader …»
«Nichts liegt mir ferner!» Emilio schüttelte sich. «Schmeckt der Risotto?», fragte er, vom Thema ablenkend. Was hatte er geglaubt? Dass Phina ihre Beherrschung verlieren würde? Natürlich hat der Tod des Vaters ihrem Leben eine positive Wendung verliehen, auch wenn sie das nicht zugab. Aber das hatte noch lange nicht zu bedeuten, dass Phina nachgeholfen hatte. Außerdem, was ging ihn das an? War er deshalb hier? Er leerte sein Glas mit dem Chardonnay. Dabei fiel ihm ein weiser Spruch ein, den er vor kurzem auf der blauen Schürze eines Südtiroler Weinbauern gelesen hatte: «Die Realität ist nur eine Illusion, die sich aus Mangel an Alkohol einstellt.» Dagegen konnte man was tun. Er nahm die Flasche und schenkte nach.
Sie sprachen die nächsten Minuten über weniger brisante Themen, schwiegen dann eine Weile. Schließlich fragte er nach Phinas Beziehung zu Theresa. Wie kam die alte Dame dazu, bei ihr von ihrer «alten Freundin» zu sprechen. Bei allem Respekt, der Altersunterschied sei doch eklatant, und auch sonst könne er wenig Gemeinsamkeiten erkennen – das sei bitte als Kompliment zu verstehen.
Phina lächelte. Theresa sei gelegentlich etwas wundersam, gab sie zu, aber ein überaus liebenswerter Mensch. Theresa war mit ihren Eltern befreundet gewesen, mit ihrer Mutter habe sie Karten gespielt. Und sie habe sich immer für Phina eingesetzt, Theresa habe genau gespürt, wie schwer sie es mit ihrem
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