Tod oder Reben: Ein Wein-Krimi aus Südtirol (German Edition)
dass er seinen aktuellen Aufenthaltsort dem renommierten Südtiroler Architekten zu verdanken hatte. Von Bozen war Marco mit seiner Vespa nach Meran gefahren, um den Tag in der großen Therme zu verbringen. Dort gab es viele Innen- und Außenbecken, es dampfte und sprudelte, man konnte sich von Unterwasserdüsen massieren und sich radonhaltiges Wasser vom Vigiljoch auf den Kopf plätschern lassen. Man konnte sich in die Sonne legen und jungen Frauen hinterherschauen. All das hatte es im Mailänder Gefängnis nicht gegeben, nur einen rostigen Duschkopf und eine Kloschüssel, die wackelte. Marco sprang ins klare Wasser, kraulte und tauchte, rempelte gegen andere Menschen, streifte eine vollbusige Brünette, stand prustend unter einem Wasserfall. Das Leben, es konnte so schön sein. Es brauchte nur etwas Zeit, bis er wieder alles unter Kontrolle hatte: sich selbst, seinen Körper, seine Nerven – und die Arschgesichter, die wohl zu blöd waren, den Ernst der Lage zu kapieren.
Nicht weniger als tausend Besucher hatte die Meraner Therme jeden Tag. Für Marco war das ideal, denn er liebte es, wenn das Leben um ihn herum pulsierte, darauf hatte er lange Jahre verzichten müssen. Gleichzeitig war man in dieser Masse anonym, in Meran kannte ihn sowieso keine Sau, auch das wusste er zu schätzen. Zwar gab es keinen Grund, sich zu verstecken, aber er konnte so besser entspannen. Dass gerade jetzt sein telefonino läutete, war deshalb störend, aber auf dem Display sah er, dass es Raphaele war, dem er einen Auftrag erteilt hatte. «Pronto» , meldete sich Marco, «come va, tutto a posto?» Dann hörte er zu, was ihm sein alter Kumpel zu sagen hatte. Gerade noch hatte er entspannt gelächelt, jetzt kniff er die Augen zusammen, sein Puls beschleunigte sich. Dabei war er nicht wirklich überrascht, so etwas Ähnliches hatte er erwartet. Trotzdem hätte er sich in diesem Fall lieber getäuscht. Raphaele hatte mit dem Kennzeichen des alten Geländewagens vor Puttmengers Haus etwas anfangen können. Jetzt wusste er, dass der Mann mit dem Gehstock einen komplizierten Namen hatte und ein Baron war. Scheiß drauf. Aber dass der Blödmann in München als Privatdetektiv registriert war, ging ihm doch auf den Geist. Er hatte es geahnt, immerhin konnte er sich noch auf seine Instinkte verlassen, die waren im Gefängnis nicht verkümmert. Den Schnüffler hatte er aus der Quästur in Bozen kommen sehen. Was hatte er dort gemacht? Und er hatte mit dem Schönheitsfuzzi geredet. Warum, wieso? Weil dieser Puttmenger das Fracksausen bekommen hat? Hat der den Baron verpflichtet, um ihm aus der Scheiße zu helfen? Na klar, was denn sonst.
Marco stand auf, reckte und dehnte sich. Auch wenn er nicht mehr so fit war wie früher, für den tedesco würde es locker reichen, den hätte er schneller plattgemacht, als der gucken konnte. Aber das wäre die falsche Reihenfolge, würde alles nur noch komplizierter machen. Vielleicht kam der Typ gar nicht richtig ins Spiel, stand nur dumm rum?
Er würde die Erpressung mit Falko Puttmenger so durchziehen wie geplant, aber den ungebetenen Gast nach Möglichkeit im Auge behalten. Dazu wäre aber gut zu wissen, wo sich der Mann herumtrieb und wo er wohnte. Nun, das würde er auch noch rausbekommen.
Marco sah auf die große Uhr der Therme. In acht Minuten war es so weit. Er zog sich ein T-Shirt über, schlüpfte in Badelatschen und hängte sich seine Sporttasche über die Schulter. Er machte sich auf den Weg zu den Kabinen mit den Münzfernsprechern. Schön, dass es so was überhaupt noch gab. Sie wurden kaum benutzt, sodass er keine Probleme hatte, sich auf sein Gespräch vorzubereiten. Er nahm den Zettel mit der Telefonnummer von Ernst Steixner, legte die Münzen bereit und wartete. Er hatte in seinem Schreiben seinen Anruf für exakt diese Uhrzeit angekündigt. Jetzt würde er die Bedingungen der Geldübergabe präzisieren. Steixner hatte genug Zeit gehabt, den Schock zu verarbeiten und den Geldbetrag zu besorgen. Er hatte in seinem Fall ein gutes Gefühl und glaubte nicht, dass es Schwierigkeiten geben würde. Ernst Steixner war im Unterschied zu Falko Puttmenger ein ausgesprochenes Weichei. Nach Erhalt der Unterlagen hatte er wahrscheinlich geheult und geschlottert – um dann zu tun, was unvermeidlich war. Marco hatte sein Opfer schon vor vielen Jahren studiert, hatte damals Informationen aus erster Hand erhalten. Und wenn er etwas gelernt hatte im Leben, dann dieses, dass sich Menschen nicht
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