Tod oder Reben: Ein Wein-Krimi aus Südtirol (German Edition)
jemand unterwegs war», sagte Emilio. Dass Steff darauf keine Antwort hatte, war klar.
«Da vorn, das ist der Kas-Rudl», sagte Steff einige Zeit später. Gerade hatten sie einen rutschigen Steig überquert, der Emilio erneut an der Sinnhaftigkeit des Unternehmens zweifeln ließ. Tatsächlich entdeckte er auf der anderen Seite einer Almwiese eine knorrige Gestalt, die langsam näher kam. Rudl sei Senner, erklärte Steff, ein wortkarger Eigenbrötler, der hier am Berg mit seinen Kühen und Ziegen seit Jahrzehnten den Sommer verbringe und in seiner kleinen Almhütte einen gefragten Rohmilchkäse herstelle.
«Griasti, Rudl», sagte Steff.
«Hoi», erwiderte dieser die Begrüßung.
Kas-Rudl hatte eine dicke knubblige Nase, abstehende Ohren und eine wettergegerbte Haut, die an einen Elefanten erinnerte. Auf Steffs Frage, wie es ihm ginge, antwortete Rudl mit einem knappen «guat». Durch seine Augenschlitze musterte er Emilio, der mit seinem abgewetzten englischen Kaschmirsakko und dem polierten Gehstock mit Silberknauf nicht gerade dem Bild des üblichen Bergwanderers entsprach.
Steff erzählte ihm, warum sie hier waren, dass sie sich anschauen wollten, wo vor zehn Jahren der Mann vom Berg gefallen sei, dessen Leiche Steff später gefunden habe.
«Asou», sagte der Senner. Dabei wirkte er nicht so, als ob ihn das besonders interessierte.
Dann erklärte ihm Steff, dass Emilio an kein Bergunglück glaube und gerne herausfinden würde, was damals wirklich passiert sei. Aber nach zehn Jahren sei das natürlich nicht mehr möglich.
«Hmmm.»
Man wisse ja nicht einmal den genauen Tag, sagte Steff, er habe ja die Leiche erst sehr viel später gefunden. Man werde nie erfahren, ob am Unglückstag auch andere Wanderer unterwegs gewesen seien oder wie das Wetter gewesen sei …
«Guat», sagte der Alte unvermittelt.
Steff sah ihn überrascht an. Ob er meine, dass das Wetter am Unglückstag gut gewesen sei, fragte er.
«Sowieso», sagte Rudl.
Wie er das wissen könne, fragte Steff, nach so langer Zeit, außerdem kenne man das genaue Datum nicht.
Emilio beschränkte sich aufs Zuhören, versuchte aber, im Gesicht des Senners zu lesen, was aufgrund der tiefen Falten und Furchen fast unmöglich war. Die Augenschlitze unter den buschigen Brauen wurden jetzt noch schmaler, Kas-Rudl schmatzte und pulte sich im rechten Ohr. Eine Erklärung gab er nicht. Stattdessen verabschiedete er sich mit einem «Pfiat enk», drehte sich um und ging davon.
«Was hatte das zu bedeuten?», fragte Emilio.
Steff wischte sich mit der Hand über die Augen. Der Kas-Rudl sei nicht mehr ganz richtig im Kopf. Der spreche nur mit seinen Kühen, Ziegen und Gänsen. Am besten gingen sie jetzt weiter, sie hätten erst einen kleinen Teil der Strecke geschafft.
Eine halbe Stunde später hob Emilio die Hand und blieb stehen. Er machte nicht den Eindruck, als ob er eine Atempause brauchte.
«Das geht jetzt so weiter?», fragte er.
«Ja, noch etwas über eine Stunde.»
«Und oben ist dann das Gipfelkreuz. Deshalb die ganze Mühe?»
«Der Gipfel und eine herrliche Aussicht.»
«Gibt’s davon Fotos?»
«Natürlich, ich hab einen schönen Bildband zu Hause.»
«Ich schaue mir lieber die Fotos an», entschied Emilio, «wir drehen um.»
«Wollen Sie nicht sehen, wo der Steirowitz abgestürzt ist?»
Emilio überlegte. «Nein, nicht wirklich. Sie sagen, es kann ein Unfall gewesen sein, weil es gleich hinter dem Kreuz steil in die Tiefe geht. Ich glaube Ihnen!»
«Es kann ihn aber auch jemand runtergestoßen haben», sagte Steff, dem es zunehmend gefiel, an einem Kriminalstück mitzuwirken.
«So ist es», bestätigte Emilio, «aber dieser Fußmarsch wird diesbezüglich keine weiteren Erkenntnisse liefern.»
«Sie entscheiden, also drehen wir um.»
«Dort wo Sie den Leichnam gefunden haben, das ist doch unten in einem Tal?»
«Ja, auf der anderen Seite des Berges.»
«Kann man da mit dem Auto hinfahren?»
Steff grinste. «Sie laufen nicht gerne, oder?»
«Wenn es alternative Möglichkeiten der Fortbewegung gibt, kann ich darauf verzichten.»
«Mit Ihrem Land Rover könnten wir zwei Drittel fahren. Das ist zwar verboten, aber das ginge. Der restliche Weg ist ziemlich eben.»
«Klingt gut, dann machen wir das.»
Als sie einige Zeit später das Ziel erreicht hatten, setzte sich Emilio auf einen Stein und sah die steile Felswand hinauf. Er beglückwünschte sich zur Entscheidung, den «Gipfelsturm» abgebrochen zu haben. Sonst hätte er von oben
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