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Tod oder Reben: Ein Wein-Krimi aus Südtirol (German Edition)

Tod oder Reben: Ein Wein-Krimi aus Südtirol (German Edition)

Titel: Tod oder Reben: Ein Wein-Krimi aus Südtirol (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Böckler
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in die Tiefe blicken müssen. Kein verlockender Gedanke für einen Akrophobiker, dem es schon auf einem Hocker stehend beim Einschrauben einer Glühbirne schwindlig wurde. Dass Niki hier aus Versehen runtergefallen war, schien ihm ausgesprochen unwahrscheinlich. Als Einheimischer wusste Niki von diesem steilen Abbruch, da begab man sich nicht in Gefahr. Noch dazu bei schönem Wetter. Bei schönem Wetter? Ihm ging der Kas-Rudl nicht aus dem Kopf. Obwohl sein «guat» überhaupt keinen Sinn machte, auch nicht das «sowieso».
    Steff hob den Zeigefinger vor die Lippen und gab ihm ein Zeichen, leise zu sein. Er deutete zu einigen windschiefen Bäumen in der Nähe. Emilio strengte sich an, konnte aber nichts entdecken. «Ein Auerhahn», flüsterte Steff. Jetzt sah auch Emilio den Vogel. Der Bergführer legte zum Schein an wie mit einem Gewehr, kniff ein Auge zu und krümmte den Zeigefinger. «Peng», sagte er leise.
    «Sind Sie Jäger?», fragte ihn Emilio mit gedämpfter Stimme.
    «Freilich», bestätigte Steff. «Aber leider dürfen Auerhähne nicht geschossen werden, zu keiner Jahreszeit. Schade, das ist ein besonders schönes Exemplar.»

[zur Inhaltsübersicht]
    23
    Die letzten Stunden hatte Phina in ihrem ältesten Weinberg gearbeitet, hatte mit einigen Helfern Reben ausgedünnt, um den Ertrag zu begrenzen und die Qualität zu steigern, danach Tee- und Baldrianpräparate ausgebracht, damit sich die Pflanzen wieder beruhigten. Der abnehmende Mond würde bei der Entspannung helfen. Ihr Vater hätte sie für verrückt erklärt. Phina lächelte. Vielleicht war sie das auch, aber die Rebstöcke dankten es ihr. Und in einigen Monaten würde sich die Harmonie der Natur und ihre Leidenschaft für den biodynamischen Anbau im Wein wiederfinden.
    Phina schwang sich auf ihren Traktor, startete den Diesel, umkurvte einen Rosenstrauch, der das Ende einer Rebzeile markierte, dort nicht nur schön aussah, sondern zudem offenbarte, dass hier alle gesund und glücklich waren. Glücklich? Nun, das galt hoffentlich für die Rebstöcke, aber ganz bestimmt nicht für sie selbst. Phina nahm einen kleinen Feldweg, bog dann so ab, dass sie unterhalb einer Mauer zwischen den terrassierten Rebflächen zurückfahren konnte. Sie überlegte, wann sie sich das letzte Mal so richtig glücklich gefühlt hatte. Sie konnte sich nicht erinnern, es musste verdammt lange her sein. Ob es daran lag, dass sie alleine lebte, dass sie seit Jahren alle Männer auf Abstand hielt? Quatsch, daran lag es bestimmt nicht, die Bedeutung der Männer wurde allgemein überschätzt.
    Phina fuhr immer langsamer, schließlich blieb sie stehen und machte den Motor aus. Sie sah auf die Mauer, die ohne Mörtel aus groben Steinen zusammengefügt war. Die Mauer sah hier neuer aus als noch vor einigen Metern. Auch oben verlief ein kleiner Weg, dahinter kamen die ersten Rebstöcke. Früher wurden die Pflanzen in den trockenen Sommermonaten großzügig bewässert, nicht mit sparsamen Tröpfchenanlagen, sondern mit riesigen Gestellen, die in der Fläche sprühten. Und überall lagen Schläuche herum, gab es Anschlüsse oder Pumpen. Da kam es schon mal vor, dass es an einigen Stellen leckte. Oft spritzte das Wasser unter Druck durch die Gegend, stundenlang und ohne dass es jemand bemerkte. Wie damals, vor vielen Jahren. Phina starrte auf die Mauer. Dort hatte ein Schlauch unauffällig im Gras gelegen und die Mauer mit Wasser unterspült, mit viel Wasser. Wie lange? Lange genug!
    Ihr Vater hatte nach getaner Arbeit immer den höher gelegenen Weg gewählt, er war ein Mann der festen Gewohnheiten und deshalb berechenbar, im Guten wie im Bösen. Hier, an dieser Stelle war es passiert. Plötzlich war unter seinem Traktor die aufgeweichte Mauer weggebrochen – und mit ihr der kleine Weg und die schwere Arbeitsmaschine. Der Traktor hatte sich seitwärts überschlagen und ihren Vater unter sich begraben.
    War es ein Zufall, dass sie das aus der Entfernung mit angesehen hatte? Wie in Zeitlupe war alles geschehen, ganz langsam und doch unaufhaltsam und mit tödlichem Ausgang. Sie hatte sich eine Weile nicht bewegt, dann war sie losgelaufen, erst langsam, dann immer schneller, war gestürzt, hatte sich aufgerappelt, hatte den umgestürzten Traktor erreicht und versucht, ihren darunterliegenden Vater hervorzuziehen. Ihre Hände waren voller Blut gewesen, sie hatte geschrien und geweint – weil sie wusste, dass ihr Vater starb. Ihr Vater, für den sie zuvor keine Liebe empfunden

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