Tod oder Reben: Ein Wein-Krimi aus Südtirol (German Edition)
ihm erst auf, als sich dieser mit einem kameradschaftlichen Händedruck verabschiedete.
Emilio blieb noch eine Weile, um seinem Klienten die weitere Vorgehensweise und die verschiedenen Optionen zu erläutern. Dann ließ er sich einen Weg beschreiben, wie er Steixners Villa unbemerkt durch den Garten und einen Schuppen betreten konnte. Er musste nur bei seinem nächsten Besuch eine Hintertür entriegeln. Später lenkte er das Gespräch auf Niki und achtete dabei genau auf Steixners Reaktionen. Entweder verstellte er sich gut, oder er hatte mit dessen Tod wirklich nichts zu tun. Ein Thema sparte Emilio aus: Mit keinem Wort ging er auf den Inhalt des Umschlags ein, auf den Tod des Mädchens und die Unfallflucht. Und umgekehrt sprach ihn Steixner nicht darauf an. Als ob sie eine stillschweigende Übereinkunft getroffen hätten.
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«Dick nach Tramin steht mein Gedank», hatte der Südtiroler Minnesänger Oswald von Wolkenstein seinem bevorzugten Rebensaft schon im Mittelalter ein dichterisches Denkmal gesetzt. Der Gewürztraminer tat seiner Kehle gut und förderte offenbar seine Sangeskraft. Bis heute ist der goldfarbene, würzige und bukettreiche Wein der ganze Stolz des alten Weindorfs Tramin. Gerne werden auch die drei bedeutsamen Kirchen von Tramin erwähnt, wobei Sankt Valentin insofern einen Sonderstatus hat, als die Kirche etwas außerhalb des Orts liegt, direkt an der Weinstraße nach Kurtatsch. Sankt Valentin ist eine Friedhofskirche, umringt von Grabsteinen und Zypressen – gelegen inmitten von Rebhügeln. Es gibt Menschen, die schwärmten von dem Freskenzyklus im Kirchenschiff, die wussten von den alten Meistern der Bozner Schule zu erzählen und von der Valentinslegende. Die beiden Männer, die sich spät am Abend Sankt Valentin näherten, taten dies nicht aus kunsthistorischem Interesse, sie wollten auch keinem Angehörigen am Grab gedenken. Sie hatten weit niedere Beweggründe. Der eine war wesentlich früher dran als der andere. Er bezog ein Versteck hinter einem mächtigen Grabstein aus schwarzem Marmor. Dort verweilte er und wartete.
Die mitternächtliche Geisterstunde rückte näher. Marco dachte, dass er Puttmenger einige Gemeinheiten zutraute. Auch blieb ein kleines Risiko, dass statt dem Schönheitschirurgen plötzlich die Carabinieri auftauchten. Aber die Wahrscheinlichkeit war minimal, geradezu winzig. Schließlich wusste er, was sonst keiner wusste. Vom Professor abgesehen, und der würde alles daran setzen, dass es ein Geheimnis blieb. Vorsichtshalber hatte Marco seinen Fluchtweg genau einstudiert, erst im Spurt nach oben, dann hinter dem großen Steinkreuz zum Gedenken an die Toten aus dem Ersten Weltkrieg nicht durch das schmiedeeiserne Tor, denn es war zu dieser späten Stunde verriegelt, sondern an einem Rosenstrauch vorbei über die Mauer – auf der anderen Seite wartete bereits seine Vespa auf ihn. Den ersten Kilometer würde er mit Vollgas im Blindflug ohne eingeschalteten Scheinwerfer finden. Leider leuchtete der Mond so hell, dass er auf seiner Armbanduhr die Zeit erkennen konnte. Etwas finsterer wäre ihm die Nacht entschieden lieber gewesen. Aber das fahle Licht hatte auch seine Vorteile, Puttmenger würde sich nicht unbemerkt nähern können. Blieb nur noch eine entscheidende Frage: Wo blieb der Saukerl?
***
Prof. Dr. med. Falko Puttmenger hatte seinen Ferrari vor der Klinik gegen einen Fiat Cinquecento eingetauscht. Er wusste seine Frau Anja tief schlafend im Ehebett, was nicht nur am reichlich konsumierten Champagner lag, sondern durch ein Schlafmittel aus der Stoffgruppe der Benzodiazepine unterstützt wurde. Seinen Kindern hatte er mit einem Kuss eine gute Nacht gewünscht und einen Notfall in der Klinik angedeutet. Über Eppan und Kaltern war er auf der Weinstraße nach Tramin gefahren. Dort steuerte er auf den Parkplatz vor dem Friedhof mit der Kirche Sankt Valentin. Er machte den Motor aus, drehte die Seitenscheibe nach unten und versuchte, sich zu orientieren. Leider hatte er es nicht geschafft, dem Friedhof schon vorher und bei helllichtem Tag einen Besuch abzustatten. Aber er hatte ja seine Familie im Nacken gehabt. Na egal, wenn das Trackingsystem mit dem Handy funktionierte, würde er der Spur seines Geldes folgen können. Er hatte nicht die Absicht, es auf dem Friedhof zur direkten Konfrontation kommen zu lassen. Aber wenn es nötig sein sollte, würde er diese nicht scheuen. Er tastete nach der Pistole, die im Gürtel unter seinem
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