Tod oder Reben: Ein Wein-Krimi aus Südtirol (German Edition)
dagegen gab es keinen objektiven Grund. Gelegentlich hatte er den Verdacht, dass Teile seines Körpers aus purem Sadismus gegen ihn revoltierten. Emilio stand stöhnend auf und öffnete die Vorhänge. Draußen war es beängstigend hell. Ob Ernst Steixner im Badezimmerschrank eine Schmerzsalbe hatte?
Emilio kam sich vor wie ein Zombie, als er sich kurz darauf im Spiegel sah, mit wirrem Haar, barfuß, in Boxershorts und in einem viel zu großen T-Shirt. Ein Untoter aus dem Schattenreich – der dringend einen doppelten Espresso brauchte.
Eine knappe Stunde saß er mit dunkler Sonnenbrille auf Steixners Terrasse, er hatte einen großen Marktschirm aufgespannt und statt einem Frühstück eine Schachtel mit Keksen vor sich, was anderes hatte er nicht gefunden. Er hatte kurz mit dem Gedanken gespielt, eine Dose Kaviar aufzumachen und dazu eine Flasche Champagner. Schließlich gab es was zu feiern. Aber er wusste nicht, ob er Kaviar auf nüchternen Magen vertrug. Also dann doch die trockenen Cantuccini. Er sollte sich wirklich freuen: Hatte er doch auf fast magische Weise alle seine Fälle gelöst, konnte er ruhigen Gewissens von Puttmenger und Steixner die Honorare kassieren und sich die nächsten Monate ohne finanzielle Engpässe von den Strapazen dieser Exkursion erholen. Apropos Puttmenger: Der wusste noch gar nichts von seinem Glück. Emilio sah auf die Uhr. Egal, ab zwölf Uhr wollte der Professor zu Hause auf ihn warten. Er würde ihm die frohe Kunde persönlich überbringen.
Emilio schloss die Augen und dachte nach. Ein paar Dinge gab es noch zu erledigen, dann war seine Mission beendet. Und er musste einige Entscheidungen treffen: Was sollte er Theresa in Bezug auf den Tod ihres Sohnes sagen? Wie sollte er sich gegenüber Phina verhalten? Was machte er mit Marco Giardino? Wie aufschlussreich waren die Unterlagen, die er bei ihm eingesammelt hatte? Was sollte er damit tun? Und was fiel ihm zu Valerie ein, der schärfsten Weinhändlerin zwischen Brenner und der Poebene?
Als Erstes sollte er sicherstellen, dass ihm kein Unglück widerfuhr. Er stand auf, ging ins Haus und wählte auf seinem Handy die Nummer von Laura Marinelli. Obwohl sie sofort wusste, wer dran war, reagierte sie ruhig und besonnen. Natürlich könne er ihren Bruder Marco sprechen, sagte sie, aber sie wisse nicht, ob das eine gute Idee sei.
Emilio bestand darauf. Es müsse sein, schon deshalb, um Marco vor einer weiteren Dummheit zu bewahren.
Es dauerte eine Weile. Schließlich hörte er es poltern, dann rief jemand: «Cretino! Pezzo di merda!»
Emilio konnte sich auf eine freundliche Begrüßung einstellen. «Hallo, du Arschgesicht», meldete sich Marco.
«Buon giorno, Signor Giardino» , sagte Emilio betont förmlich, «wie geht es Ihrem Kopf?»
«Ich bringe dich um!»
«Deshalb rufe ich an», sagte Emilio. «Ich würde dringend davon abraten.»
«Figlio di puttana!»
«Ich habe Ihren Namen und einschlägiges Belastungsmaterial bei einem Anwalt in Bozen hinterlegt. Falls mir etwas passiert, wird er es umgehend der Polizei übergeben.»
«Das ist mir egal. Du bist so gut wie tot!»
«Eigentlich haben Sie großes Glück und müssten mir dankbar sein.»
«Dankbar sein? Du spinnst wohl.»
«Es gibt von meiner Seite keine Anzeige wegen versuchten Totschlags, auch werden weder Herr Puttmenger noch Herr Steixner zur Polizei gehen. Sie müssen uns nur in Ruhe lassen. Und alles wird gut.»
«Das würde dir so passen.»
«Sprechen Sie mit Ihrer Schwester darüber, sie wird mir recht geben.»
«Das ist eine Sache unter Männern. Sag mal, woher kenne ich deine beschissene Stimme?»
«Keine Ahnung.»
«Doch, doch. Jetzt hab ich’s. Bist du nicht der Steixner?»
«Nein, bin ich nicht.»
«Wenn du nicht der Steixner bist, hast du Arsch dich am Telefon für ihn ausgegeben.»
«Ach so, das könnte sein.»
«Du bist tot, tot, tot.»
«Marco, Sie können nur verlieren.»
«Das werden wir ja sehen.»
«Sie müssen lernen, sich zu beherrschen. Sonst landen Sie wieder im Knast. Oder in einer Holzkiste.»
«Fick dich!», sagte Marco und legte auf.
Emilio sah sein Handy an, als ob er von dem Gerät einen Kommentar erwartete. Dann schüttelte er verständnislos den Kopf. Dieser Marco war ein Heißsporn. Blieb zu hoffen, dass er sich eines Besseren besann. Vermutlich brauchte sein Gehirn etwas länger, um die Informationen zu verarbeiten. Aber dann mussten auch ihm die Konsequenzen klarwerden. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Marco
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