Tod oder Reben: Ein Wein-Krimi aus Südtirol (German Edition)
Steixners Umschlag bekannt waren. Auf dem Bett lag eine Mappe, in der er Entlassungspapiere einer Justizvollzugsanstalt in Mailand fand. Offenbar war Marco Giardino erst vor kurzem aus dem Gefängnis entlassen worden. Emilio nahm aus dem Schrank einen Gürtel und machte seine Hose rutschfest, dann ging er runter in die Küche, fand dort in einem Wandschrank große Müllsäcke, ging wieder hinauf und packte rigoros alles an Material ein, das in Marcos Zimmer so rumlag. Er verschwendete keine Zeit damit, sich noch irgendetwas genauer anzuschauen.
Wenige Minuten später hatte er die Säcke in seinem Auto verstaut. Das Haus war wieder dunkel. In der Nachbarschaft hatte sich niemand für ihn interessiert. Außerdem verdiente die Straßenbeleuchtung ihren Namen nicht. Emilio startete seinen Landy und machte sich davon. Von unterwegs rief er Ernst Steixner im Krankenhaus an, der hatte schon geschlafen und brauchte eine Weile, um ihm folgen zu können. Er wolle jetzt nicht ins Detail gehen, sagte Emilio, aber er habe den Erpresser aufgespürt, ihn vorläufig aus dem Verkehr gezogen und sei im Besitz des Belastungsmaterials. Steixner müsse nichts bezahlen und könne ruhig schlafen. Er habe allerdings eine Bitte. Ob er in Steixners Villa übernachten könnte, fragte Emilio. Er habe gerade keine andere Möglichkeit und wolle sich ungestört mit den Personalien des Erpressers beschäftigen und das umfangreiche Material sichten.
Ernst Steixner bedankte sich tausendmal, gratulierte Emilio zum überraschenden Erfolg und sagte, dass er so lange bleiben könne, wie er wolle. Er hoffe nur, das sei alles wahr.
Emilio fuhr auf der Landstraße nach Terlan. Er konnte es noch nicht fassen. An ein und demselben Tag hatte er entscheidende Erkenntnisse über Nikis Tod erlangt, Erkenntnisse freilich, die ihn nicht erfreuten, und gleichzeitig hatte er die Erpressung an Puttmenger und Steixner aufgeklärt. Er dachte an Wu Wei und an das Dao des Nichthandelns. Allerdings musste man im entscheidenden Moment hellwach sein und genau das Richtige tun. Das schien ihm heute geglückt zu sein. Jetzt fühlte er sich müde und zerschlagen. Er würde heute Nacht nicht mehr in der Lage sein, sich die Unterlagen genauer anzuschauen. Auch gelang es ihm nicht, seine Gedanken so zu ordnen, dass er die logischen Folgen der Ereignisse abschätzen und die richtigen Handlungsstrategien ableiten konnte. In Steixners Haus würde er als Erfolgsgratifikation eine gute Flasche Wein entkorken und sich dann aufs Ohr hauen. Morgen war auch noch ein Tag.
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51
Laura Marinelli war froh, als sie mit dem Alfa endlich vor ihrem Haus in Lana angelangt war. Es war bereits spät am Abend. Die ganze Fahrt über hatte Marco vor sich hin geschrien, dann wieder mit den Fäusten wütend gegen das Armaturenbrett getrommelt und wüste Beschimpfungen ausgestoßen.
«Pezzo di merda! Fatti fottere!»
Zwar hatte Laura vor ihrem Bruder keine wirkliche Angst, er würde ihr nie ein Härchen krümmen, auch hatte sie schon früher erlebt, dass er seine Fassung verlor, aber so schlimm wie heute war es noch nie. «Adesso mi incazzo!»
Sie stellte den Motor ab und flehte ihn an, sich zu beherrschen. Die Nachbarn würden sonst aus dem Bett fallen.
«Den Baron mache ich kalt!», zischte Marco gefährlich leise, bevor er ausstieg. Laura schauderte es. Er schien es ernst zu meinen.
Hinter ihnen stoppte Lauras Mann, der Marcos Vespa gefahren hatte. Franco nahm sein Jagdgewehr aus dem Kofferraum des Alfas und fragte Marco, ob er das Stück Weg zum Haus alleine gehen könne. Marco nickte. « Naturalmente, senza problemi .» Seine Handgelenke waren blutig, weil er vor dem Eintreffen seiner Schwester und seines Schwagers verzweifelt versucht hatte, sich seiner Fesseln zu entledigen. In seinem Kopf pochte es. Am meisten aber schmerzte sein verletztes Ego. Wie hatte ihn ein verweichlichter cretino zu Boden strecken können? Ihn, Marco Giardino, einen verurteilten Totschläger, der zehn Jahre Opera ohne Niederlage überstanden hat. Der Baron hatte unglaubliches Glück gehabt. Alles war so schnell gegangen. Wer war schon auf einen Degen vorbereitet, der wie bei den Musketieren mit einem Pfeifen durch die Luft schnitt und dessen Spitze Sekundenbruchteile später gegen den Kehlkopf bohrte? Unwillkürlich langte sich Marco an den Hals. Es hätte noch schlimmer ausgehen können. Gott sei Dank war das Arschloch nicht gestolpert.
Marco folgte seiner Schwester ins Haus. Sein Gang war
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