Tod oder Reben: Ein Wein-Krimi aus Südtirol (German Edition)
noch etwas unsicher, aber er schaffte es alleine. Kaum schloss hinter ihnen die Haustür, begann Marco erneut zu fluchen. Sein Schwager Franco, der einen Kopf größer war, an Jahren älter und von stämmiger Statur, gab ihm einen Klaps auf den Hinterkopf. « Chiudi il becco! Halt’s Maul!»
In der Küche bekam er von seiner Schwester ein Glas Wasser und Kopfschmerztabletten. Franco reichte ihm eine Flasche Grappa. Marco weigerte sich zu erzählen, was genau im Weinberg vorgefallen war. Er konnte nicht verstehen, woher der Baron von seiner Schwester wusste, und erst recht nicht, warum er sie angerufen und gebeten hatte, ihm zu helfen. Das war doch idiotisch, wer machte denn so was? Wenn der Baron glaubte, dass er ihm dafür dankbar war, hatte er sich geschnitten.
Nach einiger Zeit gab ihm Laura den Rat, auf sein Zimmer zu gehen und sich hinzulegen. Er müsse sich ausruhen und von den Strapazen erholen. Wenn es ihm plötzlich schlechter ginge, solle er sich melden, dann würde sie einen Arzt verständigen. Marco bedankte sich für ihre Hilfe, umarmte Laura und Franco, dann ging er zur Treppe. Die Flasche Grappa klemmte er sich unter den Arm.
Es dauerte keine Minute, da gellte ein Schrei durch das Haus. Laura zuckte zusammen. Man hörte ein Splittern. Sie sprang auf und rannte los. «Sei vorsichtig», rief ihr Franco hinterher, «jetzt spinnt er endgültig.» Oben angelangt, sah sie, wie Marco einen Stuhl durch das Zimmer warf, dann stampfte er wie irrsinnig auf einem leeren Karton herum.
«Calma, calma» , versuchte ihn Laura zu beruhigen.
«Dieses Schwein war hier», brüllte Marco. «Und er hat alles mitgenommen, alles.»
«Wie bitte, wer war hier?»
«Der cretino , der mich niedergeschlagen hat.»
«Du meinst, er war hier, in unserem Haus?»
« Ma certo , er hat alles mitgenommen.»
«Aber die Haustür war doch abgesperrt.»
Marco schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. «Die Vespa, das Staufach, mein Schlüsseletui …»
«Im Staufach war kein Schlüsseletui», sagte Franco, der in der Tür stand.
«Eben, der stronzo hat den Schlüssel an sich genommen, hat euch angerufen, und während ihr unterwegs zu mir wart, ist er gemütlich ins Haus spaziert und hat mein Zimmer ausgeräumt. Ich bring ihn um!»
Laura zitterte. «Ein Fremder, in unserem Haus?»
«Er ist längst über alle Berge», sagte Franco, «kein Grund zur Panik.»
«Pezzo di merdaaaaa!» , schrie Marco, der sich zwischenzeitlich nur kurz beruhigt hatte. Er nahm ein Kissen und schleuderte es gegen die Nachttischlampe, die zu Bruch ging. Mit der Handkante fuhr er sich theatralisch über die Kehle. «Du bist schon so gut wie tot!» Er nahm die Grappaflasche, holte aus …
« Finito! Jetzt ist Schluss», sagte Franco mit ruhiger, aber entschiedener Stimme. Gleichzeitig entsicherte er sein Jagdgewehr, das er auf Marco angelegt hatte. «Du hörst sofort auf, oder ich jage dir eine Ladung Schrot auf den Pelz. Das ist unser Haus, du bist hier zu Gast. Hier wird nicht randaliert. Nimm eine kalte Dusche und hau dich in die Kiste.»
Marco atmete tief durch, stellte die Grappaflasche auf den Tisch und lächelte verkrampft. « Piano, piano , ich bin ganz ruhig, mach kein’ Scheiß.»
«Ich sehe, wir verstehen uns.»
Marco hob die Hände. «Scusi, mi dispiace …»
«Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Es reicht, wenn du dich ruhig verhältst. Buona notte. »
«Buona notte.» Marco gab seiner Schwester einen Kuss. Als sich hinter den beiden die Tür schloss, wiederholte er leise: «Du bist schon so gut wie tot!»
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52
«Du musst wissen, dass ich dich mag, sehr sogar.» Obwohl es nach Mitternacht war und sie am zurückliegenden Tag wie eine Geisteskranke im Weinberg geschuftet hatte, bis zur totalen Erschöpfung, um sich abzureagieren, konnte Phina nicht schlafen. Stattdessen glaubte sie Emilios Stimme zu hören, sie sah seine traurigen Augen und spürte, wie er sich hatte überwinden müssen. Es war ihm sichtlich nicht leichtgefallen, die beiden folgenschweren Fragen zu stellen. Warum hatte er es dann getan, warum hatte er damit alles kaputtgemacht?
Aus ihrer Beziehung hätte etwas werden können. Schon lange nicht mehr hatte sie sich in Gesellschaft eines Mannes so wohl gefühlt. Obwohl sie ja wusste, warum er hier war, dass er aufgrund des blöden Auftrags von Theresa in der Vergangenheit herumstochern würde. Dennoch hatte sie langsam Vertrauen gefasst, hatte sie gehofft, dass die Schatten sie
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