Tod sei Dank: Roman (German Edition)
wütend werden.
Am nächsten Tag bestiegen sie das Flugzeug nach London. Während des Fluges blätterte Preston ein Buch durch.
»Warum liest du es nicht richtig?«, fragte Cynthia, während sie unter größten Anstrengungen zu ignorieren versuchte, dass alle Städte exakt die Form von Spritzen hatten.
»Tu ich doch«, sagte er.
»Schwachsinn.«
»Frag mich ab«, sagte er und reichte ihr das Buch. Es trug den Titel Macht verstehen. Der unverzichtbare Noam Chomsky.
Cynthia las die erste Seite des ersten Kapitels, wozu sie mehrere Minuten benötigte. Sie verstand nichts von dem, was sie las, und hätte es selbst für Geld nicht fertiggebracht, sich eine Frage auszudenken.
»Wie lautet die erste Zeile?«, fragte sie.
»Noam Chomsky ist Professor am Institut für Linguistik und Philosophie des MIT in Boston«, sagte er.
Klugscheißer, dachte Cynthia, einfach die allerersten Wörter zu sagen. Sie gab ihm das Buch zurück und betrachtete die spritzenförmigen Wolken. Echt verstörend.
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Kapitel neunzehn
Linda und Will hatten seit zwei Wochen nicht mehr miteinander gesprochen. Er hatte gesagt, er würde sie anrufen, wenn er von seinem Besuch bei Heath in Manchester zurückgekehrt sei, aber das hatte er nicht getan. Er hatte, wenn er ehrlich war, nicht das geringste Bedürfnis danach verspürt. Nach Jahren der Freundschaft und gelegentlichen Masturbationsfantasien war er enttäuscht, dass die Realität sich als zweitklassig und ausgesprochen schmerzhaft erwiesen hatte. Statt sie anzurufen, hatte er sich – abgesehen von seinen Abstechern zur Dialysestation – im Haus versteckt und um das Eintreffen der folgenden Wunder gebetet:
Dass der Privatdetektiv Cynthia fände.
Dass Cynthia zustimmen würde, ihre in jeder Hinsicht perfekte Niere zu spenden.
Dass er dasselbe tun würde.
Und dass die beiden Mädchen nicht mehr langsam aus dem Leben glitten. Dass es ihnen gut ginge, statt dass Leib und Seele aus ihren Körpern und Gesichtern entschwänden.
Nichts von alldem war eingetreten, und heute, zwei Wochen nach dem Holzlöffel-Hoden-Zwischenfall, reagierte Will unerwartet enthusiastisch auf Lindas Mailbox-Nachricht.
Georgie war aus dem Haus gestürmt, nachdem sie Lindas Nachricht abgespielt hatte. Sein Handy hatte sie mitgenommen. Da er sich Lindas Mobilfunknummer nicht notiert hatte, wählte er gleich ihre Festnetznummer. Falls ihr Mann abhöbe, wollte er auflegen. Zum Glück hob er nicht ab. Sie kam sofort herüber.
»Wegen neulich Abend …«, sagte Will und schenkte Linda ein Glas Wein ein. Er wollte sie eigentlich fragen, ob es ohne Schläge für sie nicht ginge. Sie hatte ihn falsch verstanden.
»O nein, so leicht kommst du mir nicht davon«, sagte sie. » Wegen neulich Abend! Sprich: Danke für die schnelle Nummer, Linda, und jetzt geh mal wieder hübsch zu deinem Mann zurück. Vor zwei Wochen hast du versprochen, dass du mich anrufen würdest, aber getan hast du es nicht. Ich sitze die ganze Zeit zu Hause herum, halte den Penner hin und warte auf deinen Anruf. Ich will dir mal was über neulich Nacht sagen: Ich habe das gebraucht, ich habe es gewollt, und ich werde es wieder bekommen. Ich werde nicht weggehen. Ich gehe nirgendwo hin. Und du wirst mich in den Arm nehmen. Ich habe gesagt, dass du mich in den Arm nehmen sollst, Will!«
Nach drei weiteren Gläsern Wein erklärte ihm Linda die absurde Situation bei sich zu Hause. Ehe sie ihren Mann, dieses arrogante Arschloch, in flagranti erwischen konnte, war der vor ihr auf die Knie gefallen. »Buchstäblich«, sagte Linda. »Er macht alles auf den Knien. Du solltest sehen, wie er den Rasen mäht. Beim Abendessen sehe ich nur seine Haare. Den Kindern musste ich erzählen, dass er bei einem dieser Teambildungstreffen seinen Fuß in einem Kanu verletzt hat.«
»Weiß er von …« Will hielt kurz vor dem Wort »uns« inne.
»Scheiße, nein. Das ist zu gut. Ich genieße es.«
Will musste nicht nach einer Erklärung fragen – er hatte sich lange genug in der Welt der Hausfrauen bewegt, um Lindas Denkweise zu verstehen. Sie mochte ihr Leben. Sie mochte das Haus und den Urlaub, und es gefiel ihr, dass ihr Mann den Großteil der Zeit weg war und sie bei ihren Freundinnen endlos über ihn herziehen konnte. Ein Liebhaber, der war dann wie das Tüpfelchen auf dem i. Will mangelte es an Energie, um seine eigene Haltung herauszufinden. Er wollte bloß, dass ihn jemand berührte.
Es war nicht so schlimm wie beim letzten Mal – keine Kochlöffel. Aber
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