Tod sei Dank: Roman (German Edition)
zurück.
»Das ist in Loudoun Castle«, sagte ich. »Es war kalt an dem Tag. Papa ist ein guter Knuddler.«
»Kalt, ja?«, sagte sie, und ihr Blick flatterte vom einen Ende des Zimmers zum anderen.
Zwei Dinge schossen mir durch den Kopf. Erstens: Dass es an meiner Mutter nichts gab, was mir gefiel. Sie hatte überhaupt nichts Liebenswertes an sich. Sie war ein Schwamm, der Drogen aufsog, sonst nichts.
Zweitens: Dass ich ihr kein Geld für Drogen geben wollte. »Ich gebe dir etwas zu essen«, sagte ich. Ich schlug das Album mit einem Knall zu und legte es auf meiner Seite der Couch auf den Fußboden, außerhalb ihrer Reichweite.
»Ich bin nicht hungrig«, sagte sie. »Ja, es ist für Drogen. Aber verstehst du denn nicht? Hast du niemals etwas so dringend gebraucht, dass du fast explodiert wärst?«
»Lass mich nachdenken.« Mein Sarkasmus entging ihr. Erinnerte sie sich überhaupt noch daran, warum mein Vater sie gesucht hatte? Sie fing zwar nicht direkt zu weinen an, aber mir schien doch, dass sie es ganz gern getan hätte; ihre kleine Theatervorstellung wäre dadurch noch eindrücklicher geworden. Stattdessen nahm sie meine Hand, verzog das Gesicht wie zum Weinen und sagte: »Bitte, Georgie. Nur zwanzig Pfund. Nun mach schon! Ich würde sie dir auch geben.«
»Wenn ich Ja sage, versprichst du mir dann, zu einer Drogenberatung zu gehen?«
»Versprochen! Ich gehe zu dieser Stelle in den Gorbals. Da muss man nicht mal einen Termin haben.« Sie hatte meine Hand losgelassen. Aus ihrem zerknitterten Schluchzgesicht war plötzlich ein vorfreudig aufgeregtes Gleich-knall-ich-mir-die-Rübe-weg-Gesicht geworden.
Ich zog meine Hand zurück und holte meine Brieftasche vom Tisch im Flur. Es war kein Geld drin. Das war keine große Überraschung, da niemand in unserem Haushalt über ein geregeltes Einkommen verfügte. Unser Taschengeld war mit den Vermietungen in Spanien versiegt. Aber Papa bewahrte immer etwas Geld für Notfälle auf. In seinem Aktenschrank, unter N wie Notfall, der Schwachkopf. Ich ging zurück ins Arbeitszimmer und machte den Aktenschrank auf.
War das mein Tagebuch, das da auf dem Schreibtisch lag? Was zum …? Ich schob den Gedanken einen Moment lang beiseite und nahm eine Zwanzigpfundnote aus einer kleinen Lederbörse, die in dem Aktenschrank lag. Dann machte ich den Schrank zu und gab das Geld meinem Muttermenschen, der jetzt sabbernd an der Tür zum Arbeitszimmer stand.
»Es gibt also einen Ort, wo du unterkommen kannst?«
»Na klar. Erst mal dieses Wohnheim in Govanhill, aber wenn die Sozialhilfe anläuft, bekomme ich eine möblierte Wohnung von der Stadt.«
»Gib mir Bescheid, wenn du eingezogen bist.«
Keine Küsse, keine Umarmungen. Ich schloss die Tür und seufzte.
Was hatte mein Tagebuch im Arbeitszimmer meines Vaters zu suchen? Ich ging zurück und nahm es vom Schreibtisch. Hatte er es gelesen? Das wollte ich doch nicht hoffen. Kays Tagebuch lag unter meinem. Was hatte er mit unseren Tagebüchern vor? Beide lagen auf einem braunen Notizblock. Ohne weiter nachzudenken öffnete ich den Notizblock und las die erste Zeile der ersten Seite:
1) Cynthia
Typisch Papa. Vor Jahren hatte er angekündigt, es noch einmal mit einem Drehbuch zu versuchen. Wochenlang hatte er sich in seinem Arbeitszimmer eingeschlossen und war schließlich triumphierend zum Vorschein gekommen – mit einem Notizblock, der diesem ganz ähnlich gesehen hatte. Darin hatte er eine lange Liste angelegt, die genau zeigte, wie er die Sache angehen würde.
1. Treatment
2. Synopsis
3. Werbekonzept
4. Schottische Filmförderung mit obigem Material ansprechen, in der Absicht, Fördergeld für Drehbuchentwicklung zu bekommen.
5. Zwei Szenen pro Tag schreiben.
6. Herausfinden, welche Produzenten gerade angesagt sind.
7. Treffen verabreden! Netzwerken!
Der Plan hatte fünfundsiebzig Punkte, und jeder von denen hatte ungefähr fünf Unterpunkte. Voller Stolz auf das Resultat seiner Bemühungen las er uns die Liste im Wohnzimmer vor. Dieser Hohlkopf.
»Schreibs einfach«, hatte ich gesagt, als er mit Vorlesen fertig war.
Er war schnaubend in sein Arbeitszimmer zurückgegangen und hatte die Liste auf dem Metallspieß aufgespießt, wo all seine hinfälligen Listen endeten. War schon halbhoch vollgespießt, der Spieß, mit toten Listen.
Das also war jetzt sein Plan: sich unnütze Notizen darüber zu machen, wie er uns retten könnte.
1) Cynthia.
Na gut, er hatte sie also – ganz gegen seine Gewohnheit – tatsächlich gefunden,
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