Tod und Leidenschaft (German Edition)
soll eine Zeichnung machen, wie sie aufgefunden wurde.“
„Ja, Sir.“
Das Leichenhaus war ein eingeschossiger Backsteinbau, der wie eine kleine Trauerhalle wirkte. Nur, dass sich hier in den Außenmauern zahlreiche fensterlose Öffnungen fanden, deren einzige Aufgabe darin bestand, die Ausdünstungen der Toten ins Freie zu entlassen.
Harris Magen hob sich ruckartig, als sie die Tür öffneten und eintraten.
Einem Impuls folgend, wäre er am liebsten rückwärtsgegangen, doch er riss sich mit Macht zusammen. Ebenso widerstand er dem Drang, ein parfümiertes Taschentuch vor sein Gesicht zu drücken.
Der Gestank war schlimmer, als alles, was ein normaler Mensch ertragen konnte.
„Herrgott, wie kann man hier arbeiten?“, stieß er würgend hervor.
Abberline sagte nichts, sondern ging direkt auf einen mittelgroßen Mann zu. Der stand an einem Tisch und machte in gestochener Schrift Notizen in einem großen Folianten.
„Detective Inspector Frederick Abberline und Detective Inspector John Harris. Wir suchen Doktor Llewellyn.“
Der Mann richtete sich auf. Er war von durchschnittlicher Größe und trug einen gepflegten, an den Enden leicht gezwirbelten Schnauzbart. Sein Hemd war von einem reinen Weiß und hatte nur an den Manschetten kleine, dunkle Flecken.
„Ich bringe sie zu ihm.“
Wie der Butler der Königin ging er den beiden Polizisten in gleichmäßig ruhigen Schritten voran.
Sie verließen den kleinen Vorraum und betraten einen etwas größeren Raum, der Harris erschien wie ein Blick in die Vorhölle. Tote lagen dicht an dicht auf hölzernen Brettern. Nachlässig abgedeckt, mit blutbespritzten Laken, erkannte er Haarschöpfe, Beine, Arme. Und über allem waberte ein infernalischer Gestank, der ihm die Sinne zu rauben drohte.
„Hier … bitte …“ Der Mann wirkte wie ein Leichenbestatter. Emotionslos. Professionell. Als bemerke er das Pandämonium um sich herum gar nicht mehr.
Der Gestank ebbte ab, soweit Harris dies noch zu beurteilen vermochte.
Dr. Llewellyn war ein wuchtiger Mann mittlerer Größe mit einem ordentlich gestutzten Kinn- und Oberlippenbart.
Er trug einen dunklen Anzug und Krawatte.
Sein Assistent, denn um einen solchen musste es sich handeln, stellte die beiden Polizisten vor und zog sich sofort zurück.
„Meine Herrn …“
Die drei nickten sich zu.
„Sie kommen wegen der Toten aus der Buck´s Row.“
„Ganz richtig“, ergänzte Abberline.
Llewellyn nickte und zog ein Tuch von einem schlichten hölzernen Sarg ohne Deckel.
Die beiden Polizisten traten an den Kasten und blickten hinein.
Eine Frau lag darin, das dunkle Haar dicht am Kopf klebend, die Augen einen spaltbreit geöffnet, wie auch die schmalen Lippen.
Harris fragte sich, ob ihr Haar wohl noch vom nächtlichen Regen nass sein mochte.
Nur der rötliche Strich, der sich quer über ihre Kehle zog, deutete auf die Ursache hin, die sie in diesen Sarg gebracht hatte.
„Woran starb die Frau?“, fragte Harris, der eine gewisse Erleichterung ob des sauberen Zustands der Leiche empfand. Sie wirkte, als sei sie lediglich angetrunken, wenn auch ihr Gesicht sehr blass war.
„Zwei Schnitte durch die Kehle. Die Schnitte haben die Ateria Carotis durchtrennt.“ Der Arzt hob den Blick und fügte hinzu: „Die Halsschlagader.“
Seine Blicke wanderten wieder zu der Toten. „Die Schnitte wurden mit großer Gewalt vollzogen. Sie gingen bis zum Rückenmark. Das Messer war wohl nur mittelmäßig scharf. Wenn sie mich fragen.“
„Also haben wir es mit einem ganz normalen Mord zu tun …“
„Nun … nicht so ganz, Inspector …“, sagte Llewellyn gedehnt und schlug abrupt das Tuch zurück, das den Körper der Toten bedeckte.
Harris und Abberline zuckten gleichermaßen zurück.
Zwar hatte der Arzt die Wunden vernäht und gesäubert, doch war nur zu offensichtlich, dass sich über ihren Bauch und Unterleib zahllose Schnitte und Einstiche zogen. Ja, der Mörder hatte sie geradezu zerfetzt.
„Oh mein Gott“, stieß Harris hervor und selbst Abberline wurde bleich.
„Was ist das?“ Dass seine Frage mehr als unprofessionell klang, fiel keinem der Männer auf und es war Llewellyns gefasste Haltung, die die beiden Beamten dazu brachte, sich zu straffen und den Schock zu überwinden.
„Dieser Frau wurde nicht einfach die Kehle durchgeschnitten, meine Herren. Sie wurde zerhackt. Wir haben zahlreiche tiefe Einschnitte im Bauch und Unterbauchbereich. Alle mit abwärts verlaufender Schnittrichtung. Dazu noch zwei
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