Tod und Leidenschaft (German Edition)
sagte er väterlich, und Elizabeth hatte das Gefühl, sich übergeben zu müssen.
Ihre Kiefer mahlten und ihre Kehle wurde wie von mächtigen Pranken zusammengepresst. Sie hatte solche Angst. Nie zuvor hatte sie Ähnliches empfunden. In ihrer Brust tobte ein brennender Schmerz, der das Atmen beinahe unmöglich machte. Ihre Muskeln waren verspannt und die Schnüre schnitten beißend in ihr Fleisch.
„Siehst du … es ist nichts Persönliches, mein Kind. Aber wir haben etwas zu tun und deine Beziehung zu diesem Polizisten Harris ist zu einem Problem geworden. Und Probleme müssen gelöst werden.“
Elizabeth riss die Augen auf, versuchte mit Blicken und Rucken mit ihm zu sprechen. Ihn davon abzuhalten, sie zu töten. Vielleicht wenn sie ihm erklärte …
Der Knebel schien in ihrem Mund aufzugehen. Tränen und Schleim verstopften ihre Nase. Voller Panik spürte sie, den aufgequollenen Stoff in ihrem Mund, dass sie keine Luft mehr bekam. Wie unterdrückt man Panik? Das Rasen des Herzens. Das Atmen, das immer schneller statt langsamer geht? Schweiß von ihrer Stirn brannte feurig in den Augen, mischte sich mit den Tränen und floss bis zu ihrem Hals.
Sie würde Harris nicht mehr sehen. Nicht mehr sprechen. Was immer sie vorhatten … sie würde nichts sagen. Aber nicht sterben … Herr im Himmel! Nicht sterben!
Warum kam niemand und rettete sie? Wo war Harris jetzt, da sie ihn brauchte wie nie zuvor in ihrem Leben? In deiner dunkelsten Stunde bist du allein!
Und Elizabeth war allein. Mit ihrem Mörder. Von allen verlassen. Bunte Bilder schossen vorbei. Sie sah ihre Mutter. Die Geschwister. Harris und diese Frau. Kann man solche Bilder aufhalten? Alles ging so schnell. So rasend schnell.
Lewinsky drehte sich zu ihr um. Sie sah, dass er aus einer braunen, flachen Flasche eine klare Flüssigkeit auf ein Tuch träufelte. Gift! Er würde sie vergiften.
Elizabeth versuchte, ein Gebet zu sprechen. Irgendeines. Ein paar Worte nur, die sie ihrem Schöpfer empfehlen würden. Strafte Gott die Törichten?
Wenn ja, so büßte sie in diesem Moment bereits alles ab.
Mach, dass es nicht weh tut!, betete sie. Hilfe würde nicht kommen. Dessen war sie sich sicher.
„Mama!“, murmelte sie. Oder war das nur eine Stimme in ihrem Kopf? „Mama!“ Dann drückte er das Tuch auf ihr Gesicht.
Sie gab sich Mühe, tief einzuatmen. Wenn sie viel von dem Gift in sich aufnahm, würde es vielleicht schneller gehen. „Mama! Hilf mir!“
X
Regen. Regen. Ich wünschte, er wäre aus Blut statt aus Wasser. Ein paar hundert Schritte gegangen und schon bin ich nass bis auf die Knochen.
Ärgerlich. Aber nicht zu ändern.
Es ist ruhig in den Gassen. Ab und an eine Schlägerei, oder eine Debatte zwischen ein paar Betrunkenen. Ich halte mich von ihnen fern, wechsle auch mal die Straßenseite, um ihnen nicht in die Quere zu kommen.
Fast Mitternacht. Der Tag aller Heiligen und Märtyrer Englands ist fast vorüber und ich habe noch keine gefunden.
Mittlerweile habe ich genug Vertrauen, um zu wissen, dass ich sie erkenne, wenn sie vor mir steht. Ob es ein greifbares Zeichen geben wird, weiß ich nicht, aber es spielt auch keine Rolle mehr.
Die Vorsehung stattet mich mit allem aus, was ich brauche, um meine Aufgabe zu vollenden.
Mein Gang ist fest und mein Blick klar.
Für einen Moment bleibe ich stehen und sehe mich um. Der Regen hat die Angewohnheit, die Dinge zu färben, als sie sind.
Was aber in dieser Gegend auch nichts mehr ausmacht. Hier ist eh alles rußgeschwärzt. Dunkle Gestalten an düsteren Plätzen.
Und heute Nacht werde ich einen Engel erschaffen. Von der Dunkelheit ans Licht.
Eine Kirchturmuhr schlägt. Schon zwei Uhr. Die Zeit fliegt nur so, wenn man glücklich ist.
Welchen Tag haben wir heute? Ah, ja. Der 9. November. Gut. Ich schlage in meinem kleinen Heiligenkalender nach. Margery Kempe wird heute verehrt. Eine Mystikerin. Wieder so ein Zufall, der keiner ist.
„Gehst du auch zur Lord Mayor´s Parade?“
Eine Stimme aus dem Dunkel und sie meint mich! Ich bleibe stehen. Sehe mich um. Eine schlanke Gestalt tritt aus einem Torbogen.
Engel aus der Finsternis! Wie hübsch sie ist! Mattes Licht fällt aus rotblonde Löckchen, die sich unter einem billigen Hut kringeln. Sie scheint jung. Die Kleidung ist abgenutzt. Sie ist noch nicht lange dabei, schätze ich.
„Was tust du in einer Nacht wie dieser auf der Straße?“, frage ich sie und ertappe mich dabei, dass ich mit ihr sprechen will.
Sie zuckt mit den
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