Tod und Leidenschaft (German Edition)
die Hand vor Augen nicht und bis zu ihnen nach Hause ist es ein weiter Weg.“
Elizabeth Brust hob und senkte sich noch immer viel zu schnell und wenn sie ehrlich war, erfüllte seine reine Anwesenheit sie mit Ruhe.
Die Bedrohung durch den Whitechapel- Mörder blieb unausgesprochen und doch umso realer.
„Seien sie nicht so stur. Ich rufe meine Kutsche und fahre sie nach Hause.“
Nur zu gern hätte sie weiter widersprochen, aber wieder spürte sie das Blut in ihrem Stiefel und die Vorstellung, von einer Droschke gefahren zu werden, einen Polizisten an ihrer Seite war zu verlockend.
„Also gut. Einverstanden.“
„Warten sie hier. Ich bin in einer Minute zurück.“
Nicht mal das passte ihr, doch sie hatte keine Wahl. Also tastete sie sich so weit vorwärts, bis sie eine Hauswand spürte. Gegen diese drängte sie sich, während Harris Schritte sich entfernten.
Mit angehaltenem Atem wartete sie. Ihr ganzer Körper war zum Resonanzboden für jedes noch so winzige Geräusch um sie herum geworden und als sie endlich das Hufgetrappel und das Rumpeln der großen Räder auf dem Pflaster hörte, atmete sie auf.
„Es tut mir leid, dass ich mich ihnen gegenüber so schrecklich verhalten habe. Aber … die Ermittlungen sind so … unbefriedigend.“
Elizabeth verstand, was er meinte.
„Wir suchen, wir verhaften. Vernehmen und müssen wieder laufen lassen. Bald dürfte es keinen jüdischen Eastender mehr geben, der nicht unter unserer Lupe war. Und bei allem muss man darauf achten, dass es zu keinen Unruhen kommt.“
„Ist es so schlimm?“ Ihre Stimme war etwas tiefer geworden, jetzt, das sie sich in Sicherheit fühlte.
Harris nickte.
„Vor allem die extremen Zeitungen machen uns zu schaffen. Sie wiegeln die Leute mit immer neuerlichen, schauerlichen Details auf.“
„Aber kann man denn der Presse so etwas nicht untersagen?“
Harris blickte hinaus in den dichten Nebel. Auch vor seiner Kutsche lief ein Diener her, der mit einer Lampe den weg suchte.
„Nein. Unmöglich. Es gäbe einen Aufschrei der Empörung. Dass die Regierung die Wahrheit unterdrücken will … Unsere Leute können keinen Schritt tun, ohne dass nicht ein Schreiberling ihm auf den Fersen ist. Und manchmal sind sie auch schneller als wir. Jeden noch s winzigen Fetzen an Erkenntnis, den wir erringen, posaunen sie in die Welt hinaus, damit der Mörder auch schön informiert ist …“
Es brauchte keinen größeren Menschenkenner, als Elizabeth es war, um zu spüren, dass der Polizist sich seinen Frust von der Seele redete.
Mit jedem Satz entspannte sich seine Haltung mehr und bald lehnte er in den Polstern und sah sie mit leisem Lächeln an.
„Sie sollten mich stoppen, bevor ich ihnen völlig den Abend verderbe“, sagte er leise.
„Sie verderben ihn mir ganz und gar nicht. Ich kann sie verstehen. Es muss außerordentlich bedrückend sein, wenn man so im Nebel stochert.“
„Vor allem wenn man weiß, dass so viele Frauen in Gefahr schweben. Als wäre deren Los noch nicht schwer genug …“
Elizabeth hatte noch eine andere Idee.
„Andererseits … hat der Mörder vielleicht sogar sein Gutes.“
Harris hätte nicht verblüffter dreinschauen können, wenn sie jetzt eine Taube aus ihrem Beutel gezaubert hätte.
„Was meinen sie?“
„Nun … bis zu den Morden hatten viele Mitglieder der oberen Schichten nicht den leisesten Hauch einer Vorstellung von dem, was im Eastend vor sich geht … Hat nicht Mister Shaw einen offenen Brief diesbezüglich an den Herausgeber des Star geschrieben?“
Harris nickte. Dieser so genannte Brief hatte allgemein Furore gemacht, legte er doch den Finger in die Wunde der Ignoranz, die man allgemein den Unterschichten und ihrem Schicksal entgegen gebracht hatte.
„Er nennt den Mörder ein unabhängiges Genie, das die Dinge in die Hand genommen hat, wo Sozialdemokraten ihre Zeit mit den Rufen nach Schulen und Reformen verschwendet hätten. Das einzige Argument, dass Ladies und Gentlemen berühre, sei das Messer. Tja – eine feine Sicht der Dinge.“
Elizabeth war mit jedem seiner Worte ein wenig nach vorne gerutscht.
„Aber sie sind nichtsdestotrotz wahr, Inspector Harris. Mister Shaw spricht eine zynische Wahrheit aus. Aber sie bleibt dennoch eine Wahrheit.“
Plötzlich erhellte sich Harris Gesicht.
„Sie sind doch nicht auch eine Sozialistin? Am Ende diskutieren wir noch das Wahlrecht für Frauen!“
Elizabeth lachte nicht. Sie lächelte nicht einmal.
„Und was wäre daran so falsch
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