Tod und Leidenschaft (German Edition)
… Sir?“ Ihre Stimme hatte eine solche Schärfe angenommen, dass es für ihr Gegenüber keinen Zweifel an ihrer Überzeugung geben konnte.
„Neue Zeiten brechen an, Sir. Und dass Frauen auch selbst über ihr Schicksal bestimmen können, gehört dazu. Es muss sich vieles in diesem Land ändern und ich fürchte, es hat die Morde von Whitechapel gebraucht, um dies jenen Leuten vor Augen zu führen, die in diesem Land das Sagen haben.“
Elizabeth war von sich selbst überrascht, denn nie zuvor hatte sie irgendjemandem gegenüber so deutlich ausgesprochen, was sie dachte. Was hatte dieser Harris nur an sich, dass sie derart alle Vorsicht außer Acht ließ? Oder lag es an der Intimität der dunklen Kutsche, die gemächlich über das Pflaster schaukelnd das Gefühl verbreitete, sich auf einer einsamen Insel zu befinden?
Es war ist nur allzu bewusst, wie unschicklich sie sich benahm. Nicht nur wegen ihrer mehr als nur freizügigen politischen Reden, sondern vielmehr, weil sie Harris offen anstarrte. Ihre Blicke nicht von ihm nehmen konnte.
Langsam begann sie zu hoffen, dass sie baldmöglichst zurück im Eastend wären.
„Wir werden ihn schnappen. Früher oder später“, sagte Harris und es war klar, dass er lediglich versuchte, die angespannte Atmosphäre aufzulockern.
„Ja, sicher“, erwiderte Elizabeth geistesabwesend.
Die Fahrt schien sich ewig zu ziehen. Warum begann er nicht wieder zu sprechen?
Dann würde sie also einen Anfang versuchen …
„Ich habe gehört, man schreibe dem Mörder chirurgische Fähigkeiten zu.“
Sie hatte es in der Zeitung gelesen, die ihr Fischhändler zum Einwickeln ihres Einkaufs verwendet hatte.
Harris schüttelte beharrlich den Kopf.
„Das war nur Dr. Baxter, der das behauptet hat. Ich habe der Leichenschau beigewohnt. Die Frau war …“ Er biss sich selbst auf die Lippe und starrte Elizabeth an. „Verzeihen sie mir. Das ist sicherlich kein … ähm … Faktum für eine Frau. Also für ihr Gemüt … Sozusagen.“
Selbst im Zwielicht der Kutsche erkannte sie, dass er errötete.
„Aber nicht doch! Es interessiert mich. Sogar sehr.“
„Ja?“ Seine Augen öffneten sich weit.
„Aber gewiss doch!“
„Also … das war eine sehr dunkle Straße. Selbst wenn es ein erstklassiger Chirurg gewesen wäre … er hätte so gut wie nichts sehen können. Der Mörder muss sich förmlich durch die Eingeweide getastet haben, als er sie herausnahm. Niemand kann sagen, ob der Mörder über solche chirurgischen Fähigkeiten verfügt, oder nicht.“
Offensichtlich hatte er erwartet, dass sie irgendeine Reaktion zeigte, die auf Angewidertsein oder Ähnliches hindeutete, aber Elizabeth sah ihn nur interessiert an.
„Sehen sie … das habe ich mir auch gedacht. Ich kenne diese Straße. Da gibt es doch nur die eine Laterne am Ende. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er da viel gesehen haben will.“
„Ja, eines unserer vielen Probleme. Jeder sagt irgendetwas zur Presse und schon ist es die Wahrheit, oder eine Tatsache. So lange bis man nicht mehr weiß, was Fakt und was Fiktion ist. Dazu kommt, dass zahllose Trittbrettfahrer die Gelegenheit nutzen, sich selbst ins Rampenlicht zu bringen. Kein Wunder bei der Aufmerksamkeit, die dem Fall allenthalben geschenkt wird.“
Mit einem Mal hielt er inne. Sah Elizabeth lange schweigend an.
„Es ist angenehm, mit jemandem außerhalb des Yard über diese Dinge sprechen zu können.“
„Haben sie denn niemanden, der ihnen sonst zuhört?“
Sie hatte die Frage nur halb so unbedarft geplant, wie sie sie ausgesprochen hatte.
Noch immer wollte sie wissen, ob er eine Frau hatte.
„Nein. Niemanden.“
Es gab also keine Mrs. Harris!
Unerwartete Freude und Erleichterung erfasste Elizabeth. Am liebsten hätte sie in diesem Moment seine Hände ergriffen und ihm gesagt, dass sie ihm immer zuhören werde, wenn ihm danach sei.
Doch gerade noch rechtzeitig schob sich ein Kopf in das Kutscherfenster.
„Wir sind angekommen, Sir.“
X
Dieses Schwein! Diese elende Drecksau! Wie kann er es wagen! Jack the Ripper! Was soll das sein? Ein Nom de Guerre? Was für eine vollkommen idiotische Erfindung. Gott sei Dank druckt nur eine Zeitung diesen blödsinnigen Namen.
Aber nicht nur Name ist es. Wie kann jemand wagen, sich meiner Taten zu brüsten? Ich bin es, der all die Gefahren auf sich nimmt, die Stadt zu säubern, der diese Herkules- Taten vollbringt!
Wie lausig, sich in der warmen Stube über ein Blatt Papier zu beugen und sich mit
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