Tod und Leidenschaft (German Edition)
nach unten. In den nassen Dreck. Und dann ein Schnitt. Zack. Erledigt.
Endlich kann es fließen. Kraftlos rutschen meine Hände von ihr herunter.
Die Erleichterung ist unvergleichlich.
Ich hocke nur da und sehe dem Blut zu, das an ihrem Hals vorbei und in den Rinnstein unter ihr fließt.
Keuchend mein Atem. Zitternd meine Knie.
Jetzt kehrt mein Gehör zurück. Ich höre das Plätschern des Regens. Und … Rumpeln! Ein Fuhrwerk nähert sich. Es gibt keinen Zweifel! Gottverdammt!
Das Schnauben der Mähre ist schon ganz nah.
Schnell … Ich presse mich gegen die Mauer. Meine Brust schmerzt noch immer.
Der Gaul scheut vor dem Stück Scheiße auf dem Boden.
Die Mauer drückt gegen meinen Rücken. Ich hebe mein Gesicht in den Regen. Oh, welche Kühlung. Welche Erfrischung.
„Hooo … altes Mädchen … hooo … is doch nur n Haufen Müll“, sagt der Kerl, der auf dem Fuhrwerk hockt. Ich fixiere seinen Umriss. Mit der Peitsche stochert er in dem Bündel rum. Trottel!
„ Mal wieder n Besoffener! Nee, altes Mädchen, den kriegen wir nich allein ausm Weg … Da brauchen wer Hilfe …“ Er springt von seinem Bock. Eilt an mir vorbei. Hihihi … ich müsst nur die Hand ausstrecken und „Buh“ rufen!
Er rennt in das Gebäude aus dem der Gesang ertönt. Jetzt! Ich schnappe meine Tasche und mache mich davon.
Als ich den Hof hinter mir gelassen habe, und auch die nächste Gasse, spüre ich, wie viel besser es mir geht. Ich kann wieder atmen. Wieder laufen. Ich höre auch wieder. Jetzt ist es gut.
Doch da ist diese Unruhe. Dieses merkwürdige Grollen in mir. Sollte ich doch heute Nacht noch eine erwählen?
Ich bin müde. So müde. Wenn ich jetzt zu Hause wäre, könnte ich mich in mein Bett legen und ein wenig schlafen. Aber ich gehe immer weiter. Ich weiß, es wird geschehen. Es wird kommen. Wie fernes Donnergrollen, das das herannahende Gewitter ankündigt.
Mein Kopf bewegt sich träge von einer Seite zur anderen.
Warum finde ich heute Nacht keine Ruhe? Warum spüre ich noch immer die Hand der Hure an meinem Arm?
Der Regen lässt nach und ich sehe dennoch keine Sterne.
Wenn es die Huren nicht gäbe, könnte ich jetzt schlafen. Dann wäre mein Leben einfach und friedlich. Deswegen lungern sie hier herum. Starren mich aus ihren dreckumrandeten, vom Suff glasigen Augen an … Sie treiben mich vor sich her! Das ist es! Sie wollen Jagd auf mich machen. Wie die Ratten auf das Aas.
Rotten sich zusammen. Sie riechen mich. Noch bevor ich um die Ecke biege, wissen sie, dass ich da bin.
Und dann greifen sie nach mir. Strecken ihre schwieligen, zitternden Klauen nach mir aus. Blasen mir ihren Pesthauch entgegen, um mich trunken zum machen, mir die Sinne zu rauben.
Aber sie verkennen mich! Und wie viele tausende von ihnen sich auch gleich einer schwarzen Wand vor mir auftürmen mögen – sie sind zu schwach für mich!
Ich bin der Puppenspieler und ich werde ihnen zeigen, mit wem sie es zu tun haben!
Noch wissen sie es nicht wirklich. Harmlos. Harmlos. Ein einfacher Mann mit Tasche und Umhang.
Aber ich werde es ihnen zeigen! Ich werde sie alle fertigmachen. Ohne jede Gnade. Mein Atem geht schneller. Erregung? Vorfreude?
Aber flach. Zu schwer ruht meine Brust auf meinen Lungen. Sie wollen sich ausdehnen und können es doch nicht. Es ist der Gestank, der aus den Höhlen und Löchern auf mich eindringt.
Heute Nacht … heute Nacht. Mir ist schwindelig. Die Wut ist so groß. So allmächtig. Ich bleibe stehen und stütze mich ab.
Ich will mein Gesicht zum Himmel erheben und schreien, dass man diesen Schatten, diesen Alpdruck von mir nehmen solle. Wie ein Tier will ich aus meiner Hülle brechen. Alles bersten lassen, was mich beschränkt.
Nichts soll mehr existieren, das mir Grenzen auferlegt.
Als müsse ich meine müden Glieder recken, strecke ich meine Arme von mir. Spanne meine Muskeln an und lockere sie wieder.
Aber es lässt nicht nach. Der Druck ist kaum zu ertragen.
Hatte ich ihn nicht verschwunden geglaubt? Gerade eben noch?
Das Blut fließt langsamer in meinen Adern. Es schwillt an. Die Muskeln meiner Unterarme versteifen sich.
Ich drücke meine Finger zu Fäusten, um es loszuwerden.
Krach aus einer Kneipe.
Wie lange bin ich schon gegangen? Ich weiß es nicht mehr. Alles ist weg.
Die Polizeistation. Ein spitzer Giebel über der Eingangstür. Plakate mit Fahndungsaufrufen an die Mauer geklebt. Es ist ruhig hier.
Keine Hure weit und breit.
Ich bin zu weit gegangen. Hier werde ich keine mehr finden.
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