Tod und Schinken: Krimi (German Edition)
zu lesen war. Den knappen Rock darunter hielt ich zunächst für einen Slip. Die weißblond gefärbten Haare waren zu zwei Zöpfen geflochten. Sie trug Totenkopf-Ohrringe und war an Armen und Schultern tätowiert.
Der Türsteher erklärte kurz die Lage, und die Frau entschied: »Lass die beiden durch, Freddy. Das ist Abby …«
»Gut, gut«, sagte Abby. »Dann ist ja alles klar. Komm, Moritz.«
Er legte der zierlichen Frau den Arm um die Schultern und ging mit ihr voraus.
Der Gang war so schmal, dass sie kaum beide nebeneinander Platz hatten. An den Wänden spendeten künstliche Fackeln flackerndes Licht. Wummernde Beats schlugen uns entgegen und ließen den Boden erzittern.
Unvermittelt traten wir in gleißendes Scheinwerferlicht. Gefühlte einhundert Menschen bewegten sich auf der riesigen Tanzfläche. Eine Theke zog sich an der Längsseite durch den ganzen Raum. Davor saßen und standen noch einmal Dutzende von Männern und Frauen. Mir fiel auf, dass es in der Mehrzahl ältere Männer und jüngere Frauen waren.
Gegenüber der Bar befanden sich höhlenartige Kammern in der Wand, aus denen es rötlich schimmerte. Die meisten waren mit einem Vorhang verdeckt, sodass man nicht hineinschauen konnte. Red Cave – der Schuppen machte dem Namen alle Ehre.
Abby beachtete mich nicht mehr. Ich war abgemeldet. Er ließ die Frau stehen und begab sich wippend auf die Tanzfläche. Bereitwillig machte man dem riesigen Mann Platz.
Aus den Boxen erklang ein grooviger Sound, der irgendwie nach Sixties und trotzdem modern klang. Den Song erkannte ich. Er stammte von Elvis, aber in dieser Version war er eindeutig cooler. Zum zweiten Mal in dieser Nacht musste ich an Tarantinos From Dusk till Dawn denken. Der helle melodische Gitarrensound erinnerte mich an die Szene, in der Salma Hayek ihren atemberaubenden Schlangentanz zelebriert.
Auf der riesigen Leinwand flimmerte ein Schwarz-Weiß-Video. Es zeigte einen Sänger, der eine Pilzkopffrisur hatte wie seinerzeit John Fogerty. Hinter ihm bewegten sich die Musiker wie schwarze Scherenschnitte. Dazwischen verrenkten sich ein paar attraktive Go-go-Girls im Sixties-Look. Eine eingeblendete Schrift verriet, dass es sich um The Incredible Staggers handelte, und der Song hieß Little Sister.
Ich schaute wieder zu Ackergoldt. Ein Kreis hatte sich um ihn gebildet. Die anderen Tänzer klatschten im Takt und feuerten ihn an. Es war, als sei dieser riesige Körper für die Tanzfläche geboren. Er bewegte sich wie ein majestätischer dunkler Albatros, die Arme weit ausgebreitet, die Augen geschlossen, während der Körper im Takt der Musik zuckte.
Der Song ging in einen anderen über. Diese Musik sagte mir nichts. Es waren kühle Gitarrenklänge und eine eher teilnahmslose Stimme, zu denen nun getanzt wurde. Auf der Videowand stand, dass es sich um The Black Keys handelte, und das Lied hieß Sister.
Ich wippte im Takt mit, aber auf die Tanzfläche zog es mich nicht. Plötzlich merkte ich, dass ich nicht mehr allein war. Die tätowierte Frau, die uns hereingelassen hatte, stand plötzlich neben mir.
»Heute ist Schwesternabend«, brüllte sie mir ins Ohr.
Ich verstand. Daher diese Sisters-Nummern.
Dabei war das nur der Auftakt, die Staffage, der äußere Rahmen.
Gestenreich bedeutete sie mir, ich möge mich doch zur Bar begeben. Ich hatte zwar in dieser Nacht schon mehr getrunken als in der ganzen letzten Woche, aber meine Kehle war schon wieder wie ausgedörrt.
An der Bar konnte man sich tatsächlich einigermaßen unterhalten. Ich bestellte einen Smirnoff on Ice. Die Frau orderte ein Glas Wasser.
»Ich bin Jenny. Und du heißt Moritz?«
Ich nickte. Ich musste an die Seeräuber-Jenny aus Brechts »Dreigroschenoper« denken. Sie trug sogar ein großes Anker-Tattoo mit einem roten Herz auf dem linken Oberarm.
»Woher kennst du Abby?«
»Wir haben uns erst heute kennengelernt.«
Sie nickte. »Auch gut. Warst du schon mal hier?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Heute ist Schwesternabend«, wiederholte sie.
»Was heißt das?«
»Lass dich überraschen.« Sie lachte.
Der Ober stellte uns die Getränke hin.
»Geht aufs Haus«, sagte Jenny. »Wegen des Ärgers vorhin.«
»Ich bin Schlimmeres gewöhnt.«
Jenny trat einen Schritt zurück und betrachte mich genauer. »Was bist du überhaupt für einer?«
Ich nahm das Glas und trank. Komisch, das war schon die zweite Frau, die mich das innerhalb kurzer Zeit fragte. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.
Als ich weiterschwieg, sagte
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