Tod und Schinken: Krimi (German Edition)
gewissem Stolz in der Stimme.
»Und ich den hohen Sopran«, erklärte die Gräfin. Offensichtlich hatte Wilbur sie gut gebrieft. »Ollie hat sich bereit erklärt, zunächst den tiefen Sopran zu übernehmen, bis eins der Küchenmädchen kommt.«
Ollie wurde tatsächlich rot.
»Warum übernimmt Sare nicht den tiefen Sopran?«, fragte ich.
»Weil meine Stimme nun mal da ist für den hohen Sopran, Mann!«, erklärte Sare. »Außerdem darf ich mich draußen nicht blicken lassen. Ich übe nur für die internen Aufführungen.«
»Bist du dir sicher? Ich meine, von wegen hoher Sopran?«
»Ja, Wilbur hat das festgestellt. Er ist ein Genie! Ich habe vorher noch nie gesungen. Ich habe überhaupt nicht gewusst, dass Singen so schön sein kann …«
Alle riefen durcheinander und wiederholten so ziemlich das Gleiche.
Endlich rief Wilbur: »Silentium, Ladies and Gentlemen«, und alle beruhigten sich wieder. Zu mir sagte er: »Stell dich schon mal zu den anderen, wir wollen mal sehen, wie du dich machst.«
»Ich mache mich überhaupt nicht!«
»Jetzt seien Sie kein Spielverderber«, mischte sich die Gräfin ein. »Wilbur hat die neue Betriebshymne extra für uns komponiert!«
»Betriebshymne?« Hatte ich richtig gehört?
»Eine Betriebshymne ist heutzutage obligatorisch für den nachhaltigen Erfolg«, erklärte Ollie. »Sie motiviert die Mitarbeiter und trägt die Firmenphilosophie nach außen, zu unseren Kunden.«
»Oh, das wusste ich nicht«, sagte ich treuherzig. »Ich dachte, es reichen gutes Essen, guter Service und ein gutes Betriebsklima.«
»Aber das sind doch Selbstverständlichkeiten!«, sagte die Gräfin.
»Was wir brauchen, sind Lautsprecher, die unsere Philosophie unter die Leute bringen. Diese Lautsprecher sind wir selbst!«, dozierte Wilbur. »Eine Firmenhymne hält Mitarbeiter bei Laune. Noch besser wäre ein ganzes Showprogramm, aber wir fangen klein an.«
Mir graute. Ich hatte plötzlich die penetrante Werbung einer Elektromarktkette vor Augen und im Ohr, die sich an Queens We Will Rock You verging. Da war kein Platz mehr für gute Laune, nur fürs Fremdschämen,.
»Hast du unseren Businessplan nicht gelesen?«, fragte Ollie. »Da stand unter dem Punkt ›Dringende Maßnahmen, die unverzüglich umgesetzt werden‹ auch die Initiierung einer Betriebshymne.«
»Den Punkt muss ich überlesen haben«, gab ich zu.
»Kein Wunder, Wilbur hat ihn erst in letzter Sekunde handschriftlich nachgetragen«, erklärte Ollie.
»Oh. Schön, das zu erfahren. Gibt es vielleicht noch mehr handschriftliche Ergänzungen, von denen ich nichts weiß?«
»Jetzt sei nicht eingeschnappt«, sagte Ollie. »Stell dich schon zu uns.«
Wilbur sah demonstrativ auf die Uhr. »Wir werden in einer halben Stunde erwartet.«
»Von wem? Von der Polizei wegen Ruhestörung? Vom Lärmvernichtungskommando?«
»Pressetermin auf dem Detmolder Marktplatz«, erklärte Wilbur wichtig. »Wir werden dort der Öffentlichkeit zum ersten Mal meine Hymne präsentieren.«
»Es ist auch meine Hymne«, sagte Duffy.
»Es ist unser aller Hymne«, beschwichtigte Ollie.
Wilbur machte dem ein Ende. »Jetzt aber fix, Kinder, wir müssen noch einmal proben. Wenn Moritz nicht mitmachen will, muss ich selbst den hohen Bass mitsingen.«
Er war sichtlich beleidigt. Ich legte ihm den Arm um die Schultern und sagte: »Sei mir nicht böse, aber einer muss sich auch noch um die wichtigen Sachen kümmern …«
»Wichtig? Kunst ist wichtig!«, begehrte er auf. Die Haare standen ihm wild zu Berge. Ich machte mir Sorgen um ihn.
Jetzt fiel mir wieder ein, warum ich überhaupt gekommen war. Ich wollte Ollie sprechen. Mit einem Wink gab ich ihm zu verstehen, dass ich draußen wartete. Ollie nickte mir zu.
Dann begann der nervtötende Chor erneut zu proben. Ich suchte das Weite und wartete auf dem Hof. Hier war der Lärm zum Glück nur entfernt zu vernehmen. Plötzlich wusste ich auch, woher ich die Melodie kannte. Von den Toten Hosen. Und automatisch summte ich mit:
Ein belegtes Brot mit Schinken …
Und dazu gab es, wenn ich mich recht erinnerte, noch ein belegtes Brot mit Ei und einen Bommerlunder. Vielleicht sollte ich Wilbur bei Gelegenheit darauf hinweisen, dass sein Plagiat absolut nicht straffrei war. Allerdings konnte ich mir keine Gefängnisklamotten vorstellen, in die Wilbur gepasst hätte.
Luna gesellte sich zu mir. Sie war auf dem Hof herumgestreunt und hatte alles genauestens inspiziert. In letzter Zeit gefiel sie sich in der Rolle des
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