Tod und Teufel. Bundesausgabe.: Ein Krimi aus dem Mittelalter.
bei jeder sogenannten Wahrheit gleich das Maul offensteht, ich würde Euch den denkbar schlechtesten Dienst mit meiner Hilfe erweisen. Ein Narr, der eines Narren Leben schützt, heilige Jungfrau! Denkt doch mal nach! Wenn ich nicht sage, daß ich Euch glaube, habe ich damit nicht behauptet, daß ich Euch für einen Lügner – oh, zu viele Negationen! Oh, oh! Zu kompliziert. Verzeiht, daß ich dem Fisch in Eurem Schädel solch diffiziles Zeug zumute. Geht nur immerzu hin und sucht Euch einen Zweiten, der dahergelaufene Bettler und Diebe an seine Tafel bittet, um ihr Leben anzuhören.« Jaspar rückte noch näher heran und fletschte die Zähne. »Aber dann kommt mir nicht mehr über die Schwelle, habt Ihr das verstanden, Ihr vor Selbstmitleid triefender Kadaver von einem Hanswurst?«
In Jacop kroch dumpfe Wut hoch und holte zu einer vernichtenden Antwort aus.
»Ja«, hörte er sich stattdessen brav sagen.
Jaspar nickte mit grimmigem Lächeln. »Das ist fein. Dann setzt Euch mal wieder auf die Bank.« Jacop sah sich um, als könne er irgendwo seinen Trotz erblicken, um daran festzuhalten.
Dann gab er auf.
Sein Zorn wich einem Gefühl, als habe man ihn mit dem Kopf in einen eiskalten Weiher getaucht. Er ging zurück zu der Kaminbank und ließ sich darauf nieder.
»Also Ihr glaubt mir nicht?« fragte er vorsichtig.
»Nicht unbedingt.«
»Seid Ihr dann der Meinung, daß ich lüge?«
»Ah!« rief Jaspar und vollführte einen komisch aussehenden Sprung. »Unser Freund lernt Dialektik. Wollt Ihr mich am Ende in einen sokratischen Dialog verwickeln? Nein, ich bin nicht der Meinung, daß Ihr lügt.«
»Aber das gibt keinen Sinn«, jammerte Jacop hilflos.
Der Physikus seufzte. »Also doch kein Sokrates.« Er nahm neben Jacop Platz und verschränkte die Arme hinter seiner Glatze. »Da sind zwei Männer, die einander nichts getan haben und in Frieden leben. Doch einem davon erscheint des Nachts der Erzengel und verkündet ihm, der andere werde ihn schon bald erschlagen. Voller Angst ergreift der Mann einen Stein und schmettert ihn seinem Nachbarn über den Schädel, im Bemühen, dessen schändlicher Absicht zuvorzukommen. Aber er trifft nicht gut, und jener andere, solcherart attackiert, nimmt seinerseits den Stein und erschlägt damit den ersten, natürlich in Notwehr, weil er ja in Wirklichkeit nichts Schändliches im Sinne hatte, womit sich die Prophezeiung erfüllt. Hat nun der Erzengel die Wahrheit gesprochen?«
Jacop dachte darüber nach. »Wer zweifelt an den Worten eines Erzengels?« sagte er. »Ich verstehe nicht, worauf Ihr hinauswollt.«
»Auf die Wahrheit. Denn der Erzengel hat dem Manne zwar gesagt, daß der andere ihn erschlagen wird. Aber er hat nicht gesagt, daß der andere vorhat, ihn zu erschlagen. Der Mann jedoch hat in diesem Augenblick als Wahrheit akzeptiert, was ihm die Wahrheit zu sein schien, nicht, was sie tatsächlich war. So gesehen hat er durch falsches Deuten der Verkündung, also Unwahrheit, ihre Erfüllung, also Wahrheit, erst herbeigeführt. Hingegen wäre nichts geschehen, wenn er die Warnung in den Wind geschlagen hätte. Dann allerdings hätte der Erzengel nicht die Wahrheit gesprochen, was, wie Ihr richtig erkannt habt, de facto unmöglich ist. Ganz offenbar ein Dilemma. Könnt Ihr mir folgen?«
»Ich – ich versuche es. Ja, ich glaube schon.« »Gut«, sagte Jaspar zufrieden. »Wo ist also die Wahrheit in der Geschichte?« In Jacops Kopf war Jahrmarkt. Buden wurden aufgebaut, Musik erklang, Bauern tanzten stampfend auf dem Platz und machten Lärm.
Wie mühsam war bloß dieses Nachdenken!
»Und?« forschte Jaspar.
»Die Wahrheit liegt allein beim Erzengel«, verkündete Jacop.
»So? Hat er denn die Wahrheit gesagt?«
»Natürlich. Was er sagte, ist ja eingetroffen.«
»Aber nur, weil der Mann die Wahrheit nicht verstanden hat. Wenn er sie aber nicht verstanden hat, dann hat der Erzengel die Wahrheit wohl gemeint, aber er hat sie nicht gesagt.«
»Das ist unmöglich.«
»Eben. Jede göttliche Prophezeiung ist klar, oder sollten wir annehmen, die geistigen Fähigkeiten eines Engels reichten nicht aus, sich einem normalen Sterblichen mitzuteilen?«
»Vielleicht wollte der Erzengel ja, daß der Mann ihn mißversteht?« versuchte es Jacop zögernd. »Möglich. Dann hätte er bewußt gelogen, indem er das Mißverständnis provozierte. Wo ist also dann die Wahrheit der Geschichte?«
»Augenblick!« rief Jacop. Der Jahrmarkt in seinem Kopf drohte in Chaos auszuarten. »Die
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