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Tod und Teufel. Bundesausgabe.: Ein Krimi aus dem Mittelalter.

Tod und Teufel. Bundesausgabe.: Ein Krimi aus dem Mittelalter.

Titel: Tod und Teufel. Bundesausgabe.: Ein Krimi aus dem Mittelalter. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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Wahrheit ist, daß der Erzengel eben die Wahrheit gesagt hat. Der Mann wurde erschlagen.«
    »Daß ein Donnerwetter in deinen Schädel fahre! Er wurde aber doch erschlagen, hast du gerade selbst gesagt, weil der Erzengel nicht die Wahrheit sagte.«
    Jacop zuckte zusammen.
    »Ach ja«, sagte er kleinlaut.
    »Aber ein Erzengel sagt immer die Wahrheit, oder?«
    »Ich –«
    »Und? Wo ist sie nun, die Wahrheit?«
    »Können wir uns nicht über was anderes unterhalten?«
    »Nein.«
    »Es gibt keine Wahrheit in Eurer Geschichte, verdammt!«
    »Wirklich nicht?«
    »Ich weiß nicht, wo. Warum erzählt Ihr mir das alles?«
    Jaspar lächelte.
    »Weil Ihr dem Mann gleicht, dem der Erzengel erschienen ist. Auch Ihr beurteilt die Dinge nach dem Schein. Weiter denkt Ihr nicht. Möglicherweise habt Ihr tatsächlich die Wahrheit gesagt, und alles hat sich ebenso zugetragen wie in Eurem Bericht. Aber könnt Ihr dessen sicher sein?«
    Jacop schwieg eine lange Zeit.
    »Sagt mir, wo die Wahrheit ist«, bat er.
    »Die Wahrheit? Ganz einfach. Es gab keinen Erzengel. Der Mann hatte keine Vision, er hatte sich den Erzengel nur eingebildet. Schon haben wir kein Dilemma mehr.«
    Jacop starrte ihn mit offenem Mund an.
    »Ihr verfluchter Gaukler.«
    »Danke.«
    »Bitte. Heißt das, ich habe ebenfalls geträumt?«
    Jaspar schüttelte den Kopf. »Wer weiß. Ihr seht, wie schwierig die Wahrheit zu fassen ist. Kann ich Euch also ohne Vorbehalte glauben, selbst wenn Ihr felsenfest von der Wahrhaftigkeit Eurer Worte überzeugt seid?«
    »Nein«, gab Jacop zu.
    »Seht Ihr? Das wollte ich Euch klarmachen. Nicht mehr und nicht weniger. Um die Wahrheit zu erkennen, müßt Ihr an ihr zweifeln können. Anders gesagt, wenn Ihr in Bedrängnis seid, habt Ihr zwei Möglichkeiten. Heillose Flucht wie bisher –«
    »Oder?«
    »Oder Ihr gebraucht Euren Kopf.« Jaspar erhob sich. »Aber vergeßt nicht«, sagte er streng, »ich habe immer noch keinen Beweis dafür, daß Ihr wirklich die Wahrheit sagt.« Dann stahl sich das Lächeln wieder um seine Mundwinkel. »Aber ich mag Euch und will zumindest darangehen, es herauszufinden. Einstweilen könnt Ihr hier wohnen. Betrachtet Euch einfach als meinen Knecht. Und jetzt legt Euch ein paar Stunden aufs Ohr. Ihr seid ein bißchen blaß um die Nase.«
    Jacop atmete langsam aus.
    »Wie habt Ihr das gemeint?«
    »Was?«
    »Daß ich meinen Kopf gebrauchen soll. Was soll ich Eurer Meinung nach tun, statt fliehen?« Jaspar breitete die Hände aus. »Ist das nicht offensichtlich? Angreifen!«
    Memento mori
    Mathias stand vor dem aufgebahrten Körper Gerhard Morarts und hing seinen Erinnerungen nach.
    Er hatte sich gut verstanden mit dem Dombaumeister. Sie waren nicht unbedingt Freunde gewesen. Einen Freund hätte Mathias nicht geopfert. Er hätte es auch kaum gekonnt, weil er im Grunde keine Freunde hatte. Aber ein wesentlicher Charakterzug verband ihn mit Gerhard, eine ausgeprägte Nüchternheit des Denkens und die Fähigkeit, Monate und Jahre zu verplanen. Allzu wenige Menschen sahen die Zeit als etwas Planbares an. Die Mystiker leugneten gar ihre Existenz, weil innerhalb einer sich kontinuierlich vollziehenden Zeit möglich wurde, was sie als Häresie verurteilten: Fortschritt – das Gift der Logiker mit ihrem Roscellinus von Compiègne, Petrus Abaelardus, Roger Bacon, Anseimus, und wie sie alle hießen. Zeit erschien den meisten als etwas Gottgegebenes, das es nicht zu nutzen, sondern zu verbrauchen galt, eingeteilt in Vigilien und Laudes, Prim, Terz, Sext, Non, Vesper und Komplet, Schlafen, Aufstehen, Essen, Arbeiten, Essen, Schlafen.
    Mit der Zeit als Bühne schöpferischen Schaffens tat sich allerdings die Frage auf, was ein Mensch in einer Lebensspanne überhaupt schaffen konnte. Der mystischen Stasis traten die Begriffe des Beginns und vor allem der Vollendung entgegen. Um aber etwas zu vollenden, mußte man lange genug leben. Im Umkehrschluß hörte man aus intellektuellen Kreisen immer häufiger die Frage, ob der Mensch lange genug lebe, um vollenden zu können, was er beginne. Eine Frage, angesichts derer die Traditionalisten aufschrien! – Kritik an Gott! Häresie! Der Mensch hatte Dulder zu sein, nicht Schöpfer! Wenn der wiederaufflammende Symbolismus und Mystizismus vom Kreuzzug sprach, dann meinte er auch den Kreuzzug gegen die Humanisten. Die Christenheit spaltete sich einmal mehr in feindliche Lager, und Gerhard Morart, der sich die Vollendung des schier Unvollendbaren vorgenommen hatte, sah sich hinund

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