Tod und Teufel. Bundesausgabe.: Ein Krimi aus dem Mittelalter.
einen Grabstein.
Trotzdem hatte es nie so geklungen, als erwäge Gerhard auch nur einen Moment lang, den Auftrag zurückzugeben. Im Innersten zerrissen, hatte er sich in die Weltlichkeit seiner Mission gefügt und sich dem Taumel der Architektur und Kunstbesessenheit ergeben. Geld war reichlich vorhanden. Der Papst schrieb bereitwillig Ablaßbriefe, wohlhabende Fürsten und Kleriker stifteten beträchtliche Summen, hinzu kamen die Gaben vom Altar des heiligen Petrus. Unterdessen zogen unermüdlich die erzbischöflichen petitores durch die Welt – vor wenigen Jahren erst hatte Konrad von Hochstaden Heinrich III. von England gebeten, die Sammler seinem Volke zu empfehlen, und die Erträge waren beispiellos.
Gerhard baute, als ging es um sein Leben. Und eben darum ging es auch.
Als ihm endgültig klar wurde, daß er sein fertiges Werk nie sehen würde, nicht einmal den kompletten Chor, hatte er sich nur um so verbissener in die Arbeit gestürzt. Es war seine Kirche, seine Idee, er war der Initiator nove fabrice maioris ecclesie! Und es gab immer noch die Macht der Logik. Auf dem Pergament hatte er den Dom vollendet. In seinem Kopf hatte die unmögliche Kathedrale gelebt, jenseits jeglicher Verhaftung in Raum und Zeit, solange er selber gelebt hatte. Mathias schüttelte mitleidig den Kopf. »Du hattest recht«, sagte er leise zu dem Toten. »Du hast keines deiner Ziele erreicht.«
Gerhard trug ein kostbares Totenhemd. Er hatte es schon vor geraumer Zeit fertigen lassen und bei Konrad von Hochstaden die Gunst erwirkt, es auf die leibhaftigen Gebeine der heiligen drei Könige legen zu dürfen, nur einen Moment lang. Das Geleit der Weisen war sein innigster Wunsch gewesen.
Memento mori!
Mathias sah zu, wie Dominikanermönche das Tuch über Gerhards Kopf zogen und zusammennähten. Jeder führte einen Stich, während ihr leises Singen und Beten den Raum erfüllte. Weihrauch schwängerte die Luft. Gerhard wurde inzensiert und mit Weihwasser besprengt.
Guda, Gerhards Witwe, saß bei dem Toten, ebenfalls in tiefes Gebet versunken. Sie hatte die Leiche in der Nacht zuvor gewaschen, die Priester hatten sie gesalbt und dann zusammen mit den Anghörigen und Nachbarn Wache gehalten und für Gerhards Seelenheil gebetet.
Warum bete ich nicht für ihn? dachte Mathias. Ich hatte keinen Zwist mit ihm.
Weil ich es nicht kann, stellte er nüchtern fest.
Er sah sich um.
Nicht viele waren in der dämmrigen Stube versammelt. Die Straße wimmelte von Menschen, die Abschied nehmen wollten oder einfach neugierig auf den Trauerzug waren. Ins Haus hingegen durften nur Geistliche, Familienangehörige, Freunde und Edle. Bis auf einige der Mönche kannte Mathias jeden. Von den Overstolzen waren schon in der Nacht zuvor seine Hausfrau Gertrud und Johanns Gattin Hadewig herbeigeeilt, um Guda in ihrer Trauer beizustehen und gemeinsam Trost im Gebet zu finden. Johann und Theoderich standen hinter ihm und starrten ausdruckslos auf den eingenähten Leichnam, während Daniel gelangweilt zur Decke sah. Verschiedene Meister aus der Zunft der Steinmetze hatten offenbar hastig eine Gebetsbruderschaft auf die Beine gestellt. Zwei Söhne Gerhards aus den Klöstern St. Gereon und St. Pantaleon sowie eine Tochter aus dem Zisterzienserinnenkloster Gevelsberg, die zu Besuch gewesen war, als das Unglück geschah, knieten bei Guda. Weitere edle Familien hatten sich eingefunden.
Aus dem Geschlecht der Kones war nur Kuno anwesend. Er ignorierte die anderen mit steinerner Miene.
Mathias beobachtete ihn unter zusammengezogenen Brauen.
Plötzlich fielen ihm zwei Fremde auf, die den Raum betraten, vor dem Toten auf die Knie sanken, sich bekreuzigten und Guda demütig zunickten, bevor sie wieder nach draußen gingen. Der Kleidung nach gehörten sie zu einem der zahlreichen Bettelorden. Sie waren nur wenige Augenblicke geblieben, aber Mathias glaubte zu wissen, wer sie waren. Er löste sich unauffällig aus der Gruppe der Trauernden und ging ihnen rasch hinterher.
Sie standen vor dem Haus und sprachen gestikulierend auf die Leute ein. » – und betrachtete den Himmel, während er über die Planken schritt«, sagte der eine laut. »Sicher hat er den heiligen Geist gesehen«, schrie der andere. »Es war die reine Verklärung in seinen Zügen –«
»Gott hat ihm bedeutet, komm, ich will dich in mein Reich geleiten –«
»Was immer er gesehen hat, er verlor den sicheren Grund aus den Augen –«
»So war's!«
»Und doch, im eifrigen Bestreben, ihn zu retten,
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